Ob es „Trauma Bonding“ (https://hilfefueropfervonnarzissten.com/2017/04/26/trauma-bonding/) wirklich gibt, fragte mich vergangenen Donnerstag die profil- Journalistin, nämlich in Verbindung mit dem Prozess gegen Harvey Weinstein, konkret: Dass Frauen, die Klage erhoben hatten, sie wären von ihm zu Sex gezwungen worden, dennoch in „zärtlicher“ Verbindung zu ihm geblieben wären, wie seine Verteidigerin (auch ein strategischer Kniff, eine Frau zu wählen!) vor Gericht vorbrachte.
Ja das gibt es, bestätigte ich aus meiner nunmehr über 50jährigen Berufserfahrung als u. a. Juristin, Sozialtherapeutin und auf Traumata spezialisierte Psychotherapeutin (und auch langjährige Gerichtssachverständige) – aber man müsse differenzieren zwischen dem Stockholm-Syndrom (das beinhaltet, dass die Traumatisierten den oder die Täter nach Beendigung der Gefahrensituation schützen und verteidigen) und dem Schutzverhalten, wenn die Gefahrensituation noch andauert – wie es bei familiärer, sozialer (Nachbarschaft!) oder vor allem beruflicher Abhängigkeit meist der Fall ist.
Bis vor kurzem gab es ja keine Modelle, wie Frauen sich in solchen Krisensituationen Beistand organisieren könnten – nicht nur gegenüber den Tätern sondern auch gegenüber einer verurteilenden Umwelt, die sich mit „Selber schuld!“ mit Mitfühlen distanziert, und auch im Angesicht einer nur unzulänglich (weil nicht interdisziplinär) ausgebildeten Richterschaft. (Meine Vorlesung „Angewandte Sozialpsychologie für JuristInnen“ am Institut für Arbeits- und Sozialrecht, in der ich dies alles behandelte, fiel leider vor vier Semestern universitärem Geldmangel zu Opfer.)
Und dann gibt es noch ein Phänomen, das meines Wissens in der Fachliteratur noch nicht ausführlich behandelt wurde: Die Tatsache, dass Frauen manchmal nach einer Vergewaltigung im Bekanntenkreis noch ein einziges Mal anscheinend freiwillig mit dem Täter koitieren. In der Therapie – in die viele genau deswegen kommen, weil sie ihr eigenes Verhalten weder erklären noch akzeptieren können – stellt sich dann in der Tiefenarbeit heraus, dass es ein Selbstheilungsversuch des „gebrochenen Willens“ und eine Form von Wiederherstellung von Selbstbestimmtheit war. Ich habe das bei vielen meiner Klientinnen erlebt, aber auch von den Frauen, die bei mir Sexualberatung gelernt haben (s. www.salutogenese.or.at), in den Selbsterfahrungsteilen der Module zur sexuellen Gewalt berichtet bekommen.
Juristisch ist das natürlich ein Riesenfehler – denn gerade um das Thema Vergewaltigung „blühen“ nur so die Phantasien – und die stammen meist aus den anwaltlichen Verteidigungsreden und deren Verbreitung durch Medien, Filme mitgemeint. Und genau deswegen sollten Frauen, denen so massive Gewalt angetan wurde, so schnell wie möglich – und das ist leider meist nicht sofort, denn der Schock kann tagelang andauern – mit den Notruf-Frauen (01 – 523 2222) Kontakt aufnehmen.
Ganz wichtig ist aber eines: Egal wie eine Frau, die vergewaltigt wurde, sich danach verhält – sie handelt unbewusst so, wie es ihrer Erziehung und Kenntnis nach für ihr „Weiterleben“ das Beste ist – und erst nachdem sie leibseelischgeistig überlebt hat, kann sie bewerten, ob es vielleicht noch andere Möglichkeiten gegeben hätte – und weswegen diese doch nicht die richtigen gewesen wären, weil sie vermutlich ihr Leben gefährdet hätten – und dabei muss man vor allem auch an das soziale Leben denken. (Die juristische Gegnerschaft wird hingegen versuchen, die Anklagenden sozial zu vernichten – dafür wird sie ja bezahlt.)
Ich zitiere mich selbst: Gegen Gewalt hilft nur Öffentlichkeit. Deswegen sind wir alle gefordert, dafür zu sorgen, dass traumatisierte Menschen sozial, d. h. in der Gemeinschaft eingebunden, überleben können.