Wertschätzung erkennt man unter anderem daran, dass echtes Engagement, konkreter Einsatz, ernsthaftes Bemühen, auch Anstrengung und Ausdauer anerkannt und positiv bewertet werden – Betonung auf „echt“ und „ernsthaft“. Immerhin gibt es ja auch bloße Lippenbekenntnisse. Wenn sich also George Bush sen. mit der Beschwörung „Read my lips!“ als quasi Eid, es werde keine neue Steuern geben, in der Geschichte verewigt hat, wusste er wohl, weshalb er die Aufmerksamkeit von seinen Augen – bekanntlich die Fenster zur Seele – abgelenkt hat.
Auch lohnt es sich zu wissen, dass Formulierungen in Dienstzeugnissen wie „Er/sie hat sich immer sehr bemüht“ camouflieren, dass die Mühen nicht zum Erfolg geführt haben. Auch wenn das Gebot verständlich ist, dass Arbeitszeugnisse keine Aussagen beinhalten dürfen, die das weitere Fortkommen der Person behindern könnten, sollten auch solche mehrdeutigen Sätze nicht geschrieben werden: Kritik gehört dort – also bei dem Menschen, den es betrifft – im persönlichen Gespräch angebracht, und was man ins Zeugnis hineinschreibt, sollte bei dieser „letzten“ Gelegenheit gemeinsam vereinbart werden. „Schonung“ (damit meine ich Zurückhalten von Negativbewertungen) wertet andere als schonungsbedürftig ab und behindert die persönliche Weiterentwicklung bzw. Verbesserung – und wenn jemand berechtigte Kritik nicht annehmen kann oder will, liegt hier bereits ein wesentlicher Verbesserungsbedarf. (Unberechtigte Kritik sollte hingegen zurückgewiesen werden!)
Ja, es gibt häufig unberechtigte Kritik, etwa an einem behaupteten jedoch unbewiesenen Verhalten, oder an der Person an sich, und in diesem Fall sogar Jubel aus Rachsucht.
So empfinde ich die Überschriften im Standard vom 21.04.: „Kneissl holt sich in Moskau Abfuhr für Syrien-Vermittlung“ (S. 1) und „Lawrow lässt Kneissl in Moskau abblitzen“ (S. 9). Dass sind doch keine Teenager, die erste sexuelle Anbahnungsversuche starten!
Faire Textierungen hätten wohl „Kneissls Vermittlungsangebot in Moskau unerwünscht“ oder „Moskau verzichtet auf österreichische Vermittlungsangebote“ lauten können. Aber so wie man Optimisten daran erkennen kann, dass die ein Wasserglas erfreut als „noch halbvoll“ bezeichnen, Pessimisten hingegen enttäuscht als „schon halbleer“, kann man geheime Abwertungsversuche in solchen Formulierungen erkennen: „… so fühlt man Absicht und man ist verstimmt“ (J. W. Goethe, Torquato Tasso, 2. Aufzug, 1. Auftritt). Denn auch wenn der Untertitel milder „Lawrow: Russland braucht keinen Schlichter im Konflikt mit dem Westen“ (S. 1.) lautet, beinhaltet die Verwendung des Wortes „braucht“ nicht deutlich diese rein subjektive Ansicht – oft zeigt ja erst die Geschichte, dass man etwas sehr wohl gebraucht hätte …
Im Vergleich mit den letzten zwanzig, dreißig Jahren erscheint mir Gewalt auf allen Ebenen laufend zuzunehmen: Nicht nur in den Familien, in den Betrieben (Ausbeutung und Mobbing!), auf der Straße und in Verkehrsmitteln, sondern leider auch in sogenannten Qualitätsmedien. Aber gerade diese könnten Vorbilder für eine gewaltverzichtende Sprache des Respekts liefern: Es ist hochanständig Vermittlung anzubieten (und wenn das jemand als Demütigung empfindet, ist es wiederum dessen Entscheidung à la Wasserglas s. o.) und es ist ebenso erlaubt, Angebote abzulehnen … und zwar nicht nur in der Hochdiplomatie, sondern auch in Alltagsbeziehungen! (Und wenn jemand andere Aspekte hervorheben will, gehört das in einen Kommentar, nicht in den Bericht!)