In den heutigen Nachrichten rund um die Anschuldigungen gegen den Bundeskanzler – vorerst stellvertretend für mehr oder weniger nahe Mitarbeiter der letzten Jahre – fiel mir auf, dass immer wieder die Forderung nach einer „untadeligen“ Person für dieses Amt erhoben wurde.

Das habe ich mit einer Mischung von Befremden wie auch Amüsement aufgenommen. „Untadelig“ ist nämlich nur eine Bewertung – es ist aber keine Tatsachenaussage.

Tatsächlich kann man nach Lust und Laune tadeln – und das geschieht ja seit vielen Jahren: in Beziehungen, in Familienzweigen, in schulischen Einrichtungen, beim Militär … und besonders gern in Medien.

In den verschiedenen psychotherapeutischen Schulen findet sich hingegen überall der Grundsatz und die Mahnung: Die „Person“ ist immer zu respektieren – nicht aber ihr konkretes Verhalten, denn das unterliegt ihrer Willensfreiheit. Genau das überprüfen ja dann die jeweils zuständigen Gerichte und verlangen Beweise, und wenn sich diese jenseits der – aus welchen Absichten heraus – unterstellten Motive mehrdeutig erweisen, wird durch die Befragung der „getadelten“ Person zu erspüren versucht, ob diese ihr Verhalten so glaubhaft erklären kann, dass man sie als von Schuld freisprechen kann oder eben nicht.

Wenn ich selbst jemanden kritisiere, verwende ich Worte wie „ich unterstelle“ oder „ich vermute“ oder „ich habe da die Phantasie“ oder „ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren“ etc. – d. h. ich versuche vorausblickend gedanklich Raum für mögliche oder nötige Korrekturen zu schaffen, wenn sich mein Vor-Urteil als unzutreffend herausstellen sollte. Mir ist es wichtig, korrekt zu formulieren – zu oft wurde ich mit Unwahrheiten verleumdet und bei Protest niedergebrüllt, vor Gericht gezerrt, ja sogar einmal als „Fall für die WKStA“ benannt und von dieser zur Einvernahme vorgeladen, wo dann die Unhaltbarkeit dieses Vorwurfs der offensichtlich fehlinformierten konkurrierenden „Kollegin“ (einer Juristin!) klar ersichtlich wurde. Es war der Wunsch offenbar der „Vater dieses Gedankens“ …

Und es ist gut, dass wir in einem Rechtsstaat leben, in dem sich die zuständige Beamtenschaft um Klärung und Klarlegung von Vorwürfen und Tatsachen bemüht – denn meist beruhen diese eben auf strategisch aufbereiteten Beschuldigungen – oder auf Projektionen – d. h. man unterstellt Anderen genau das, was man von sich selbst kennt.

Und manchmal wird etwas erahnt, was sich dann zumindest teilweise als zu Recht vermutet herausstellt. Dabei denke ich etwa an den „Fall Lucona“ (Lucona – Wikipedia – nachzulesen bei Fayez Clache, „Hauptquartier Demel – Im Auftrag Herr Udo“ 1990, Hans Pretterebner, „Das Netzwerk der Macht“ 1993, Helmut Schödel, „Ein Staat braucht einen Mörder“ 1998) – aber da ging es vordergründig um mehrfach zu verantwortenden Mord.

Zum Verhalten zählt auch die Sprachwahl – Kritik daran hat auch Wolfgang Schüssel (damals Außenminister) nach seinem legendären Frühstücks-Interview voll zu spüren bekommen, in dem er u. a. Bundesbankpräsident Tietmeyer als „richtige Sau“ bezeichnete (PressReader.com – Zeitungen aus der ganzen Welt) und dann abstritt.

Charakter wird in der psychologischen Fachliteratur oft als „verfestigtes Verhalten“ bezeichnet. Genau deswegen bemühe ich mich um eine wertschätzende Sprache und fordere dies als quasi Unterrichtsprinzip nicht nur im Sprachunterricht, sondern überall: Unsere Wortwahl ist Produkt wie auch Quelle unserer Gedanken. Wir sollten sie rein halten – genau wie unser Trinkwasser. Und wir sollten Umweltverschmutzer – egal ob in der Familie, in der Politik oder auch in den Medien – nicht dulden.