Als ich noch Bezirksrätin (und Landtagskandidatin) in Wien Favoriten war, betreute ich ein Vorarlbergerin, die von jedem der drei Väter ihrer drei Kinder, davon zwei geistig behindert, verlassen worden war. Alimente bekam sie keine. Von Beruf war sie Schneiderin. Ihre Jugendamtsbetreuerin riet ihr, ihre gewerbliche Nähmaschine zu versetzen, um über die nächste Runde zu kommen – gleichsam das Huhn zu schlachten, das vielleicht goldene Eier legen könnte … Da ihr mittlerer Sohn im Alter meines Zweitgeborenen war und von ihr aus geschenkten Anzügen selbst genähtes schönes Gewand hatte, kaufte ich ihr dieses ab und brachte ihr wieder neues „Material“.
Wenn man will, fällt einem immer etwas ein, wie man jemand legal helfen kann.
Eine langzeitarbeitslose Mail-Freundin in einem kleinen Ort in Deutschland, gelernte Buchhändlerin und in Hartz IV (ca. 350,– € im Monat), besorgte mir, bevor sie endlich in Pension gehen konnte, billigst vergriffene Bücher und ich zahlte ihr dafür ein paar Euro pro Buch für ihre „Mühewaltung“ – sie hatte ja mehrfache Spesen (und von ihrem geringen Einkommen ihr Auto zu erhalten – auch so ein „goldenes Huhn“! und musste sich tagtäglich von der Freundin, bei der sie kostenlos wohnen „durfte“, anhören, was für eine Schmarotzerin sie sei) – und sollte keinen Schaden erleiden, aber auch kein meldepflichtiges Einkommen beziehen.
Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie es ist, kein Geld zu haben: Als ich in den frühen 1960er Jahren Jus studierte, wohnte ich zeitweise bei meiner mütterlichen Großmutter, deren Ehemann, ein Volksschullehrer, im 6. Ehejahr am ersten Tag des Ersten Weltkriegs gefallen war. Ihre Kriegerwitwenrente war minimal. Mein Vater zahlte ihr ein Zeitungsabonnement und im Winter den Koks. Ob der Mann ihrer älteren Tochter sie auch unterstützte, weiß ich nicht, bezweifle es aber auf Grund konkreter Erfahrungen. Mich hielt mein Vater knapp bei Kasse (wie auch meine Mutter) – was ich monatlich bekam, reichte höchstens einmal in der Woche für den billigsten Fisch bei der Nordsee oder Frankfurter am Würstelstand. Bei meiner Großmutter lernte ich sparsam kochen: Apfelknödel verursachten zwar Sodbrennen, aber der Mehlpapp war immerhin mit Obst angereichert, also doch ein bisschen „gesund“, und eine feine Abwechslung zu immer wieder Bröselnudeln und Sauren Erdäpfeln. Unsere Kleidung machten Mutter und ich uns ohnedies selbst (und auch den Haarschnitt, gottlob hatten wir beide Naturlocken). Zur Uni ging ich von der Margaretenstraße täglich oft mehrmals immer zu Fuß.
Kino gab es nur, wenn ich eingeladen wurde, ebenso ein Kaffeehausbesuch – und genau das führt leicht in Abhängigkeit und Erpressung von „Big Spendern“. Das sollte in der aktuellen Debatte mit bedacht werden! Mir sagte damals ein „Freund“ selbstzufrieden in uncharmanter Offenheit, ich sei eine erfreulich billige Frau – er hätte nur eine Kinokarte und eine Cola „investieren“ müssen. Meine Einsamkeit als kontaktarme Niederösterreicherin im fremden Wien erkannte er nicht. Aber Coca Cola ist heute noch etwas Besonderes für mich.
Ja, man kann mit 150,– € leben. Überleben. Wer das schon einmal bewältigt hat, weiß das. Man muss halt nur auf Kultur und Lebensqualität verzichten.