Als ich 1986 das Buch „Ausgebrannt!“ von Jerry Edelwich las, entdeckte ich darin den Begriff „Triage“, und da er mir unbekannt war, befragte ich dazu Gerhard Pawlowsky, einen meiner vier (damals nur männlichen) Ausbildner in der APG (Arbeitsgemeinschaft für personzentrierte Psychotherapie, Gesprächsführung und Supervision), weil er, Sozialarbeiter, damals Psychologie studierte. Er antwortete mir, dass ihm nur der Begriff „Triangulierung“ (das Hinzutreten eines Dritten in eine Zweierbeziehung z. B. bei Geburt eines Kindes) vertraut sei.

Jahre später fand ich den Begriff  im Rahmen meiner vielfältigen Arbeit für die AUVA (Allgemeine Unfallsversicherungsanstalt) wieder: Er stammt aus der Notfallsmedizin und entstand im Ersten Weltkrieg, als viel zu viele Verwundete von viel zu wenig „medizinischem Personal“ versorgt werden mussten. Er bedeutet „Drittelung“ der Patientenschaft: Ein Drittel wird überleben, auch wenn man sie kaum versorgt, ein Drittel wird voraussichtlich sterben, auch wenn man sie überoptimal versorgt – daher konzentriert man sich auf das mittlere Drittel.

Im heutigen ORF-Interview benützte Wiens wortgewaltiger Gesundheitsstadtrat Peter Hacker den Begriff in Hinblick auf möglichen übermäßigen Anstieg von COVID-19-Erkrankten (https://tvthek.orf.at/profile/Runde-der-Chefredakteurinnen-und-Chefredakteure/13889551/Runde-der-Chefredakteurinnen-und-Chefredakteure/14044775) – aber auch er erklärte ihn nicht. Würde wohl zu dramatische Phantasien auslösen … Er dachte vermutlich nur an eine Drittelung der Orte, an denen je nach Schwere der Erkrankung behandelt werden würde.

Ich hingegen möchte in Erinnerung rufen, dass Triage aus meiner Sicht die Basis von Salutogenese und Ethik bilden sollte – und deswegen steht der Begriff bei mir immer im Vordergund wenn ich unterrichte, egal ob es zu den beiden soeben genannten Themenbereichen ist oder zu Beratung, Pädagogik oder Psychotherapie: Wir treffen immer Entscheidungen, aber zumeist nur zwischen zwei Möglichkeiten, weil wir mit dem dualen Erziehungssystem von „richtig“ und „falsch“ samt Strafe und Liebesentzug manipuliert wurden. Es gibt aber immer mehr Lösungsmöglichkeiten als jene dieser binären Denkweise. Triage entscheidet zwischen drei Möglichkeiten. Es gibt aber noch weitere, vor allem wenn man „über den Tellerrand“ – sprich „das System“ – hinaus denkt.

Im Zusammenhang mit den Präventivmaßnahmen der Bundesregierung wurde mehrfach die Frage gestellt, ob die Bevölkerung diesen entspräche und es wirklich Verbote brauche – und mit „Leider Nein“ und „Leider Ja!“ beantwortet. Das zeigt so nebenbei, wie wichtig Ethik und daher Ethikunterricht für alle ist: Zwischen Moralappellen und Strafgeboten steht in der Mitte Triage als Möglichkeit, sich bewusst, d. h. bedacht und begründet, für das jeweilige eigene Verhalten zu entscheiden (statt andere zu „verpflichten“ oder trotzig/spaßig  zu opponieren) und Verantwortung für Negativfolgen zu tragen.

So bereichernd es sein kann zu wissen, was große Philosophen und – jahrelang versteckte – Philosophinnen ersonnen haben – es dient vor allem der Anreicherung traditioneller Formen von Unterricht. Sozial lebenstüchtig hingegen wird man, wenn man ein gut funktionierendes ethisches Gewissen (es gibt auch unethische Formen – es kommt immer nur auf den Blickwinkel an!) und soziale Kreativität in Krisensituationen entwickelt hat.