In seinem neuen Buch „Die dunkle Leidenschaft. Wie Hass entsteht und was er aus uns macht! (Gräfe und Unzer, 2022), listet der sensible – ich habe ihn selbst mit meinen Student:innen bei einem Vorarlberger Mordprozess als höchst respektvollen Gerichtsgutachter erlebt, Kompliment! – Psychiater und Bestsellerautor Reinhard Haller (* 1951) das breite Spektrum all der Untaten auf, die in den Medien Stoff für Sensations- wie auch Aufklärungsberichte liefern – und einige eher unbeleuchtete. Zu diesen gehört das „toxische“ Schweigen (S. 45 ff.)
Haller unterscheidet das meditative, kreative, andächtige, rücksichtsvolle vom frustrierenden, eisigen bis zum aggressiven und hasserfüllten Schweigen, das die eigene Machtdemonstration zum Ziel hat.
Derzeit berichten die Zeitungen über eine andere Art des toxischen Schweigens, das auch mit Macht zu tun hat: Das beharrliche Verschweigen sexueller Übergriffe wie auch schwarzpädagogischer Maßnahmen in pädagogischen – aktuell konkret elementarpädagogischen, sprich Kindergärten – Einrichtungen („Chefin der Wiener Kindergärten abgesetzt“, Der Standard, 08.06.2022, S. 8).
Vorbehaltlich der Ergebnisse von disziplinarrechtlichen wie auch strafprozessualen Ergebnissen, ist festzuhalten: Wenn es Verdacht auf sexuelle oder „triviale“ Fehlhandlungen gibt, ist logischerweise sofort die nächste Hierarchiestufe nach oben zu informieren und mit ihr ein Maßnahmenkatalog wie auch die passende Öffentlichkeitsarbeit zu vereinbaren. Man darf die unmittelbar mit Täter und Betroffenen Konfrontierten nicht mit Zeitvertröstungen oder Schweigegeboten allein lassen – sie brauchen Rückendeckung, denn sie müssen ja den Eltern wie auch der Öffentlichkeit primär Rede und Antwort stehen. Wenn man sich nur auf die „Spitzen“ der Verwaltung verlässt – egal ob Stadtrat, Bürgermeister oder – Papst! – lernt man nicht, selbstverantwortlich zu agieren – und gesundheitsschädlich ist es auch. Für die Pädagog:innen und ihre Hilfskräfte, für die Eltern, die ja den Kindern alles erklären sollten, und für die Kinder, die ja laut statt still werden sollen, wenn ihnen Leid angetan wird.
Die Dosis macht das Gift (Toxin), formulierte einst Paracelsus – und zur ersten Dosis des Übergriffs kommt die zweite des Ignorierens, die dritte des allgemeinen Redeverbots und die vierte des Abwiegelns … und das setzt sich dann noch fort in den Entschuldigungsbemühungen etc.
Man stelle sich nur vor, wie sich die Stresshormonausschüttungen vervielfachen, wenn man seine „innere Wahrheit“ nicht aus-drücken, d. h. „ent-sorgen“ darf. Nur mit Zeichnungen aufzufangen, ist zu wenig – man muss „reden“ dürfen, d. h. „sich Luft machen“.
In meinem letzten Buch „Das Schweigen der Hirten – Kirche und sexuelle Grenzüberschreitungen“ (edition roesner, 2022), das ich als Reaktion auf das Schweigen von Joseph Ratzinger, vormals Papst Benedikt XVI, verfasst habe, habe ich gleich am Anfang betont: Weil wir alle Hirten sind! müssen wir alle reden. Aber für solche Anlassfälle sachlich zu reden, d. h. unter Verzicht auf Empörung und andere einschüchternde Emotionen, muss man erst einmal lernen – und lernen heißt aus meiner Sicht: neue Wahrnehmungs- und Handlungsnervenzellen bilden, und das geschieht nicht durch Pauken von Wissen, dazu braucht es eine multidisziplinäre Anleitung und – ein kompetentes Vorbild. (Steht alles in meinem Buch – und auch in meinem vorletzten „Friedenserziehung in der Elementarpädagogik, LIT Verlag 2021.)
Diese meine beiden Bücher sind bisher medial noch nicht zur Kenntnis gebracht worden – das versuche ich jetzt. Vielleicht kann ich mein Wissen und Können als Juristin, Tiefenpsychologin, Psychotherapeutin und Erwachsenenpädagogin (und auch als Sozialarbeiterin, Supervisorin und Theologin) doch noch persönlich weitergeben – solange ich noch lebe.