Vermutlich ist das Wort Streit in manchen Tageszeitungen das in den letzten zwei Jahren am häufigsten auftretende Wort – nämlich im Zusammenhang mit Differenzen in der Bundesregierung. „Die streiten schon wieder!“ heißt es dann – aber das tun die jeweiligen Regierungsmitglieder gar nicht. Deswegen finde ich diese Wortwahl extrem unpassend – sie zeichnet nämlich ein geistiges Bild, das die mühselige Abstimmungsarbeit, wie sie in einer Koalitionsregierung immer wieder geleistet werden muss, mit den heftigen Sandkisten-Kämpfen Dreijähriger um Küberl und Schauferl gleich setzt.
Den Ausgangspunkt orte ich in Karikaturen, in denen Koalitionspartner als streitendes Ehepaar symbolisiert werden. Aber das sind Scherz-Zeichnungen. Sie entsprechen höchstens in der – phantasierten! denn was die Kontrahenten tatsächlich denken und fühlen, wissen die zeichnenden oder schreibenden Kommentatoren ja gar nicht! – Wiedergabe eines emotionalen Gehalts. Deswegen warnt auch ein vielzitierter psychologischer Leitsatz „Die Landkarte ist nicht die Landschaft“! Außerdem ist das Wort kurz, lässt sich daher leicht in die Umbruchsgrafik einbauen, und es „spricht an“: Es erregt – löst es doch Erinnerungsspuren in unser aller Gehirnen aus, auch wenn diese außer bei notorischen „Streithanseln“ (was auf eine paranoia querulans hinweist!) selten angenehme Gefühle auslösen. Vor allem nicht bei den Menschen, die als Kinder „zwischen den Fronten“ streitender Eltern standen (und sich später als Erwachsene auch immer wieder in solchen Positionen wiederfinden).
Von Heraklit von Ephesos (um 540 bis um 470 v. Chr.) stammt der Satz „polemos pater panton“, der üblicherweise mit „Der Krieg ist der Vater aller Dinge“ wiedergegeben, von mir aber mit „Der Konflikt ist der Vater aller Dinge“ übersetzt wird. Ohne den Konflikt, der alte verborgene oder neu aufbrechende Uneinigkeiten erkennbar macht, gibt es keine Weiterentwicklung zu einer neuen „Einigung“.
Sprachlich wäre es also richtig, aus der Fülle der Worte, die Uneinigkeiten, Widersprüche, Zwistigkeiten, Entzweiungen, Oppositionen … also andersartige Ansichten und Denkweisen offenbar machen, zu schöpfen – doch dazu muss man nachdenken und die adäquate Auswahl treffen.
Aber genau darum, um diese Differenzierung, geht es auch, wenn man aus der Metaposition (d. i. die Beobachtersicht) urteilt: Zum Streiten gehört der schnellatmige, meist unbedachte Wortwechsel, bei dem einer den anderen nicht ausreden lässt und „mundtot“ machen will. Wir kennen das aus etlichen Diskussionssendungen im Fernsehen. Das gehört zu den Inszenierungen von Wahlkämpfen – und die sind Kämpfe! Die sind „Schau-Spiele“, keine zielgerichteten Verhandlungen, in denen mitgedacht, abgewogen, abgelehnt, weiter gesucht etc. wird – und in denen eine Vielzahl von Experten mit Fachwissen und Rat mitarbeiten. Ich finde, diese Realität gehört medial vermittelt. Es wäre ein wesentlicher Beitrag zur medienpädagogischen politischen Bildung – und zum Abbau von Politikerverdrossenheit.