Endlich wieder Zeit, etwas anderes zu lesen als die Bücher, aus denen ich Stellen zum Zitieren suche: Bin gestern mit dem Manuskript meines neuen Buches „Sprechen ohne zu verletzen“ fertig geworden!
Und weil heute Allerheiligen ist, habe ich zu Brigitte Krautgartners „Hinter den Wolken ist es hell. Von Krankheit und Abschied und dem Glück des Neubeginns“ (Tyrolia) gegriffen – und es in einem Zug ausgelesen. Die Hörfunk-Journalistin des ORF beschreibt darin ihren persönlichen Umgang mit der Zeit des Abschieds von ihrem langjährigen Lebensgefährten, von „noch daheim“ – im letzten Urlaub – auf der Onkologie – und zuletzt im Hospiz, und sie schreibt ehrlich.
Genau das hat mir imponiert – dass sie sich nicht den gängigen Erwartungen unterwirft / unterwerfen lässt, sondern sich Unterstützer:innen findet, die sie bestärken, der Realität entsprechend mit dem Unvermeidlichen umzugehen – ohne für sich wie für ihn ein Drama draus zu machen.
Üblicherweise pflegen heute – in einer mehr als fünfzigjährigen Friedenszeit in Österreich – die meisten Menschen über das Schicksal der Sterbenskranken zu jammern, wie ebenso über ihr eigenes als künftige Hinterbliebene. (In Kriegszeiten war dazu weder Raum noch Zeit, man musste sich aufs Überleben konzentrieren.) Und üblicherweise bekommt man dann Mitleidsbekundungen, das heißt Zuwendungsenergie, und für viele Menschen hat diese hohen Seltenheitswert, leider. Dabei sollte man sie eher spenden, wenn damit ein Weg in die Zukunft gebahnt wird.
Üblicherweise denkt man, es gäbe für Sterbende keine Zukunft mehr. Aber das wissen wir nicht. „Sterben – schlafen – schlafen! Vielleicht auch träumen!“ sinniert Hamlet in seiner Todessehnsucht (3. Aufzug, 1. Szene), und ebenso der bereits zum Gift-Tod verurteilte Sokrates in seiner Verteidigungsrede: „Denn eins von beiden ist das Totsein: entweder so viel als nichts sein noch irgend eine Empfindung von irgend etwas haben, wenn man tot ist; oder, wie auch gesagt wird, es ist eine Versetzung und Umzug der Seele von hinnen an einen andern Ort. Und es ist nun gar keine Empfindung, sondern wie ein Schlaf, in welchem der Schlafende auch nicht einmal einen Traum hat, so wäre der Tod ein wunderbarer Gewinn.“ (https://www.projekt-gutenberg.org/platon/apologie/apo007.html s. 23 b). Vielleicht ist es aber auch eine körperlose Erweiterung in einen Zustand grenzenloser Liebe – das, was ich unter „Reich Gottes“ verstehe (wir sollen uns ja kein Bild von dem machen, was wir Gott nennen, auch kein geistiges, sondern die Gegenwart erleben).
Brigitte Krautgartner zeigt, wie wichtig es ist, verständnisvolle Vorgesetzte zu haben, die die Zeit gestatten, die man zum Bei-Stand für nahe Dahinscheidenende braucht – aber ebenso auch, Zeit für sich zu planen und einzuhalten. Es ändert nichts am Geschehen, wenn man sich aufopfert; als Opfer macht man sich nur selbst kaputt – nicht zu verwechseln mit Liebesdiensten, die man mehr oder weniger gerne erbringt, um die „letzte Zeit“ nicht mit Vernachlässigung oder Hader zu belasten.
Professionelles Caring besteht auch darin, Fixierungen auf Leidenszustände zu vermeiden, und stattdessen immer einen „Licht-Blick“, d. h. eine realistische (!) Zukunftsperspektive zu eröffnen, und sei sie noch so klein – wie etwa „Und morgen komme ich zur gleichen Zeit (oder wann eben), und bis dahin wünsche ich Dir …“ und in der Zwischenzeit sein eigenes Fort- und Weiterleben zu gestalten so weit das möglich ist. Und das bedeutet für Personen, die existenziell abhängig sind, wie viele Ehefrauen oder Kinder oder Berufspartner:innen, präventiv Informationen zur Neuorganisation einzuholen – damit die sterbende Person beruhigt „hinüber“ gleiten kann und nicht wie der Titelheld in Franz Werfels „Der Tod des Kleinbürgers“ sich ans Leben klammern muss, damit er nur ja den Stichtag seiner Versicherungspolizze überlebt.