Manchmal ist es schwer, die passenden Worte zu finden. Zumindest wenn man sich die Mühe machen will, nicht nur Beleidigungen von sich zu geben. Oder kontraproduktive Beschönigungen. Dann hilft nachdenken, abwägen, verwerfen – oder wie schon Ludwig Wittgenstein feststellte „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“.
Wovon ich nicht schweigen will, ist die Unart, mit „Diagnosen“ aus Psychiatrie und Psychotherapie um sich zu schmeißen — und damit das Denken all derer zu beeinflussen, die Augen- oder Ohrenzeugen dieser verdorbenen Geistesnahrung werden. (Die Metapher zu Esswaren wähle ich bewusst, um zu erinnern, dass wir verdorbenes Essen auch nicht mehr konsumieren sollten, um uns nicht zu vergiften sondern es, korrekt getrennt, dem Müll zuführen.)
Wenn ein zorniger und deshalb überheblicher Mann einer Frau vorwirft, sie wäre „hysterisch“ (was bedeutet, sie wäre körperlich krank ohne organische Ursache), so kann man das als „hirnlosen Wut-Rülpser“ ignorieren. Wenn aber eine Journalistin Menschen, die aus wohlüberlegtem Zeit-Management nicht angerufen sondern statt dessen angemailt werden wollen (weil sie dann eigenbestimmt antworten können), „Telefon-Phobie“ vorwirft (Job-Kurier vom 10.03.2018 Seite 38), ist das nicht nur ein Zeichen von mangelndem Gesundheitswissen sondern unpassend, grenzverletzend und beleidigend: Es unterstellt eine Angststörung – dabei ist es genau das Gegenteil, nämlich Selbstfürsorge. Eine Phobie äußert sich außer Gefühlen wie Beklemmung, Angst oder auch Panik körperlich in Schweißausbrüchen, Zittern, Krämpfen und oft auch Entleerungsdrang. Sie führt meist zu unbewusstem Vermeidungsverhalten und schränkt damit Lebensfreude und Lebenstüchtigkeit ein und auch die sozialen Beziehungen (und bietet damit neuerliche Angstauslöser).
Demgegenüber versuchen wir Coaches überarbeitungsgefährdete Menschen, die zu wenig auf ihre Belastbarkeitsgrenzen achten, darauf hin zu trainieren, dass sie es bewusst ertragen, nicht immer und nicht immer gleich das zu tun, was irgendwer von ihnen erwartet oder gar fordert. Stressprophylaxe besteht zum wesentlichen Teil darin, sich nicht hetzen zu lassen, auch gelassen auszuhalten, dass dann jemand anderer mit Gewalt (beispielsweise durch Zuschreibung psychiatrischer Diagnosen!) psychischen Druck zu erhöhen versucht, und Selbstliebe zu üben, auch wenn man nicht in dem Sinne perfekt ist, wie es andere gerne hätten (Werbung inbegriffen).
Umgekehrt wird in den Zeitungen oft bei Gewalttätern, die ihre Opfer ohne persönliche Beziehung attackieren oder morden, die Formulierung verwendet, der Täter hätte wohl „psychische Probleme“ gehabt. Ich sehe das als problematische Verharmlosung.
Psychische „Probleme“ haben wir doch alle von Zeit zu Zeit – so wie auch physische wie Schnupfen, Durchfall, Verstopfung … und wenn der belastende Zustand länger andauert, weiß man (hoffentlich), dass man zumindest eine ärztliche Abklärung braucht. Daher wäre es eher notwendig, mehr Information über behandlungsbedürftige psychische Symptome und die Behandlungsmöglichkeiten zu verbreiten – am besten schon im Biologieunterricht, eine Aufgabe für die Schulärzteschaft! – und all das ohne die Menschen zu diskriminieren (dämonisieren, beschimpfen, verspotten, infantilisieren etc.), deren Verhalten von der erwünschten Selbstbeherrschung abweicht. Die Person ist nicht ihr Verhalten! Und Verhalten kann geändert werden – 50 % davon ist immer „den Anderen“ zuzurechnen.
Aus Angst vor dem Vorwurf der Diskriminierung wird vieles verharmlost – man kann „political correctness“ auch widersinnig übertreiben.