Da postete jemand heute auf Facebook ein Bild aus einem Artikel vom Handelsblatt, aus dem abzuschauen war, dass es einen „Bildungstrichter“ gibt: Oben ist die Ausgangslage gleich breit für 100 Kinder, die einen aus Akademikerfamilien, die anderen aus Arbeiterfamilien, und darunter die jeweiligen Schulstufen bis zum Hochschulabschluss, und die Breite war bei den Akademikerkindern nur minimal verkleinert, aber bei den sogenannten Arbeiterkindern nur mehr winzig. (Kinder aus Nichtakademikerfamilien haben es in Deutschland schwer (handelsblatt.com))

Mir ging dabei einiges ab: zuerst die Unterscheidung in naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Studienrichtungen; weiters bei genau dieser Zweiteilung die Unterscheidung nach Geschlechtern; dann aber auch die Unterscheidung zwischen erstem und zweiten bzw. dritten Bildungsweg.

Ich habe in den gut 45 Jahren meiner beratenden Berufstätigkeit (vorher war ich ja als Juristin und Nationalökonomin tätig) sehr viele Klient:innen begleitet, die im zweiten und dritten Bildungsweg zuerst die Matura nachgeholt – oder die Studienberechtigungsprüfung absolviert – und anschließend erfolgreich studiert hatten – und ich wiederum studierte bei Universitätslehrkräften, die sich im zweiten und dritten Bildungsweg zu Hochschulprofessoren entwickelt hatten.

So war der wissenschaftliche Leiter der 1. Wiener Sexualberatungsstelle, die ich 1988 gemeinsam mit dem damaligen Leiter der Wiener Eheberatungsstellen, dem Diplomsozialarbeiter Werner Neubauer, gegründet hatte, der Psychiater, Psychoanalytiker und Systemische Familientherapeut Univ. Doz. Dr. Ludwig Reiter (* 1938) meines Wissens vom Ursprungsberuf Schriftsetzer. Oder der evang. Theologe und Fachmann für Ethikfragen in der Medizin, Privatdozent Dr. Andreas Klein (* 1967) war ursprünglich technischer Zeichner.

Bei meinen Klientinnen wiederum dominierten Krankenschwestern, die im dritten Bildungsweg Medizin studierten oder studiert hatten; ich erinnere mich aber auch an eine Sekretärin, die Sprachwissenschaftlerin wurde und auch Universitätslehrerin – und der man trotz oder wegen ihrer internationalen Anerkennung den Zeitvertrag nicht mehr verlängerte, aber anbot, sie könne ja wieder als Sekretärin arbeiten … Auch die erwähnten Medizinerinnen erlebten im Beruf derartige Demütigungen. Statt die Leistung, neben dem Beruf ein Studium zu absolvieren, wertschätzend anzuerkennen, wurden sie als „nicht ebenbürtig“ stigmatisiert.

Zu den wesentlichen Punkten des Regierungsprogramms Bruno Kreiskys ab 1970 gehörte die Absicht, mehr begabte Arbeiterkindern an Höhere Schulen zu bringen; der Weg dazu ging über Förderungen zum Betreten der Bildungswege.

Als ich 1977–1986 als Führungskraft in den Jugendzentren der Stadt Wien arbeitete, bemühten wir – meine Teams und ich – uns im Rahmen des von mir aufgebauten Projekts Club Bassena (zuerst im 10., dann auch im 9. und 12. Bezirk), nicht nur die Kids, sondern auch deren Eltern – vor allem nicht mehr oder noch nicht wieder berufstätige Mütter – mit „Bildungsinhalten“, nämlich nicht nur geistigen, sondern auch emotionellen, vertraut zu machen.

Auch wenn die historische Spaltung zwischen Arbeitern und Angestellten heute weitgehend verschwunden ist, gibt es dennoch Bildungsferne – aber diese führe ich nicht mehr auf diese Berufsdifferenz zurück, sondern auf die Verfügbarkeit von Vorbildern für Wissbegier – und diese können, müssen aber nicht die Eltern sein, und das ist unabhängig von deren Beruf. Es ist abhängig davon, ob sie lesen – oder nur am Handy wischen, ob sie selbst musizieren oder Musikern live zuhören – oder nur so nebenbei beim Joggen Kopfhörer aufhaben, oder ob sie z. B. ihre Wohnumwelt eigenhändig gestalten oder nur laut Katalog liefern lassen etc. Und ob ihnen das auch sichtbar Freude macht.

Wenn man schon Bildung als Mittel zu stigmatisierender Sippenhaftung nutzt, sollten man sich erst ansehen, was in „den Familien“ wirklich abläuft – und welche Vorbilder für Kunst und Kultur für den Nachwuchs überhaupt vorhanden sind und ob sie auch anregen, sich über die „Pflicht“schulen und schnell zum Geldverdienen führenden Berufsausbildungen hinaus weiterzuentwickeln – und welche Kommunikation (als quasi selbsterfüllende Prophezeiung) dazu demotiviert.