Schon wieder hat sich eine amerikanische Lehrerein mit einem minderjährigen Schüler eingelassen, lese ich im heutigen „Oe24 am Morgen“. Bei uns sind es eher die Lehrer, die sich an Schülerinnen heranmachen. Eher. Als ich noch in der von mir mitbegründeten Sexualberatungsstelle arbeitete, erlebte ich einmal eine ratsuchende Lehrerin, die sich in einen 11jährigen Schüler verliebt hatte und unbedingt eine dauerhafte Liebesbeziehung zu ihm aufbauen wollte. Sie war in ihrer Ehe einsam und – noch – nicht Herrin ihrer Phantasien. Aber das kann man lernen.
Sexuelle Beziehungen mit institutionell Abhängigen – Schüler und Schülerinnen, Patienten und Patientinnen in Krankenanstalten, Hafteinsitzenden etc. – sind verboten. Sie sind es deswegen, weil die Gefahr besteht, dass die „Mächtigen“ die weniger Mächtigen unter Druck setzen und sexuelle Dienstleistungen erpressen könnten. Oft kippt aber auch die „verhängnisvolle Affäre“ und die erwachsene Person wird erpresst – und/oder auch bloßgestellt, geht ja so leicht und unbedacht, in Zeiten von Facebook und Co.
Das ist ein Blickwinkel und ein Ziel.
Es gibt aber noch zwei wesentliche andere.
Der eine ist die „Rollenkonfusion“: Wir alle befinden uns meist in „Rollen“. In der Mutter- oder Vaterrolle (mit mehr oder weniger Interesse und Erfolg …), in der Tochter- oder Sohnrolle etc., in der Berufsrolle, Politikerrolle … oder in der Rolle des Liebhabers oder der Liebhaberin oder auch des oder der Geliebten. Manche tun sich mit diesen Rollen sehr schwer, beispielsweise weil sie keine geeigneten Vorbilder haben (Eltern und Filmhelden taugen kaum), und weil Übung oft an Verboten, Risikoscheu und Exponier-Scham scheitert. Bei einer Podiumsdiskussion im Schloss Goldegg, an der auch ich als Expertin teilnahm, sagte der Vorarlberger ORF-Redakteur als Moderator, „Jeder Mensch ist eine gefährliche Gelegenheit – und eine gelegentliche Gefahr!“ Die wahre Gefahr lauert in einem selbst – wir schieben sie nur gern anderen zu.
Die Frage ist immer: Was ist meine Rolle, meine Funktion – Helfer oder Liebhaber? Elternersatzperson oder Lover? Beides geht nicht.
In Elternersatzberufen läuft man immer Gefahr, dass man die Nähe, die sich aus der Arbeit ergibt, für Liebe hält – oder Leidenschaft und Begehren. Wenn ich Berater, Therapeuten, Ärzte etc. aus- oder fortbilde, thematisiere ich dieses Tabuthema immer. Man braucht nämlich eine Umgangsform nicht nur fürs Hirn, sondern auch fürs Herz und für den Körper. Verbieten oder Drohen hilft nicht – man muss sich selbst verstehen, dann kann man sich auch liebevoll kontrollieren.
Der andere Blickwinkel ist der salutogene (Salutogenese bedeutete Gesundheitsförderung). Ich habe noch von jeder Klientin und jedem Klienten, die oder der von einer Lehrkraft in ein „Abenteuer“ verstrickt wurde, im Nachhinein die Klage gehört: „Warum hat er/sie mich nicht einfach verliebt sein lassen? Warum hat er/sie sich mir aufgedrängt?“ und „Ich wollte doch nur was Besonderes sein … Ich wollte doch nur meinen Kumpels imponieren …“ Später kommt immer die Einsicht, was echte Liebe ist und was nicht. Echte Liebe wartet – nicht nur auf die Volljährigkeit oder den Schulabschluss, sondern auf Beweise von Krisenbeständigkeit und Treue.
Viele Menschen verwechseln Liebe, Verliebtheit und Begehren und auch die Verantwortlichkeit für unerfahrene (oder bereits sexuell traumatisierte) Menschen. Sie halten sich selbst für unwiderstehlich – oder die anderen. Wir sind es alle nicht. Im Endeffekt geht es immer um narzisstische Zufuhr von Aufmerksamkeitsenergie. Erst der Zeitlauf zeigt, ob etwas wahrhaftig ernst ist – oder nur (ich zitiere Arthur Schnitzler) eine „Liebelei“.