Da kreiert doch heute Ronald Pohl – die Edelfeder der Tageszeitung Standard – den Neologismus „Regierungs-Rotwelsch“ für die unsäglichen Sager in den öffentlich gewordenen Chat-Protokollen von, nein, nicht Hinz und Kunz, sondern Schmidt und Kurz.
Ja, sowas entsteht, wenn man sich als Volksvertreter an Mundl Sackbauer („Ein echter Wiener geht nicht unter“) orientiert – aber halt, gehört diese legendäre Wiener Volksfigur nicht zum sogenannten Pöbel?
„Anpöbeln“ ist eine Attacke mit offenem Visier – der schleimende Mund wird öffentlich. Ich erinnere mich an die Aussagen des ehemaligen Nationalratspräsidenten Andreas Khol, der zu Ende der langjährigen großen Koalition, vom ORF angeekelt, formulierte, dass einem „wo immer man den Einschaltknopf betätigte, rote Gfrieser entgegen geronnen sind“ (Parlamentarische Materialien) – aha, dachte ich mir damals, dazu gehörte also auch meines, und daher konnte ich sein mehrfach demonstriertes Ignorieren meiner Person (z.B. bei gemeinsamen Podiumsauftritten oder anderen Zusammentreffen) elegant übergehen ohne mich zu kränken.
Wolfgang Schüssel wiederum erregte als Außenminister durch sein legendäres Frühstücks-Interview, in dem er den deutschen Bundesbankpräsidenten Tietmeyer als „richtige Sau“ bezeichnete (Loses Mundwerk – DER SPIEGEL), internationale Aufmerksamkeit sogar auch „der dritten Art“, als er nachher versuchte, seine „tief“gründigen Bewertungen abzustreiten.
Auch wenn etwas „halblustig“ hingesagt wird – so wie Bürgermeister Michael Häupl ÖVPler als „mieselsüchtige Koffer“ bezeichnete (Lasst Peitschen-Peer in Ruhe! Grobe Wuchteln gehören zum Geschäft – FALTER 20/09 – FALTER.at) – ändert das nichts daran, dass hier verbal Krieg geführt wird, und der besteht bekanntlich darin, „den Feind“ zu töten. Das wurde jüngst wieder deutlich, als der ehemalige Wiener ÖVP-Vorsitzende und nunmehr Krimi-Autor Bernhard Görg in der Sendung „Im Zentrum“ (10.10., ORF II, „Im Zentrum“: Skurrile Verteidigung des Kanzlers | DiePresse.com) postulierte, „Attentate müssten tödlich sein“ (betreffend die gezielte Demontage von Obleuten – tiefenpsychologisch meist als „verschobener“ Vater- oder Muttermord gedeutet).
Eines der drei nach seinem Autor, dem Begründer der personzentrierten Gesprächspsychotherapie Carl R. Rogers, so benannten Rogers-Kriterien besteht neben der Anforderung an Authentizität und Empathie in der Akzeptanz der Klient:innen durch die Therapeut:innen: Der Person ist immer Würde zuzusprechen. Sie zu „bewerten“ – egal ob positiv oder negativ – macht sie hingegen zu einem Objekt und verhindert Wertschätzung für ihr Menschsein; Bewertung und dabei vor allem Abwertung kann nur dem Verhalten zugeordnet werden – und Verhalten ist veränderbar. Eine Person hat Verhaltensweisen, aber sie ist nicht ihr Verhalten.
Deswegen schätze ich die Textzeile bei Kurt Ostbahn im Lied „Ka Idee“: „Wos is da do nua eingfalln – Manst ned, daß des den andern kränkt –
Vaschwindst 2 Tog und riast di ned – Wos host da dabei denkt …“
Nicht Zwang zum Siegertum, sondern Gefühlsehrlichkeit.
Im Jakobus-Brief im Neuen Testament heißt es: „So ist auch die Zunge ein kleines Glied und richtet große Dinge an. Siehe, ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet es an!“ (3:5) und, „Aus einem Mund kommt Loben und Fluchen. Das soll so nicht sein, liebe Brüder. Lässt auch die Quelle aus einem Loch süßes und bitteres Wasser fließen? Kann auch, liebe Brüder, ein Feigenbaum Oliven oder ein Weinstock Feigen tragen? So kann auch eine salzige Quelle nicht süßes Wasser geben.“ (3:10–12)
Ich meine, wir alle müssen stets aufpassen, dass wir uns nicht selbst vergiften (lassen) – durch die allgegenwärtigen Vor-Bilder und Einflüsterer, vor allem in den Medien, auch in den angeblich „sozialen“.