Zehn Tote und dreißig Verletzte bei einem Brand in einem achtstöckigen Wohnhaus in Paris, lese ich auf https://orf.at/stories/3110371/ , und, die Polizei gehe von einem kriminellen Hintergrund aus, und: Eine Frau sei festgenommen worden. Und: Diese solle laut einem französischen TV-Sender an psychischen Problemen gelitten haben.
Menschen neigen dazu, für alles möglichst schnell die dazu gehörige Ursache zu erfahren – das hilft der Angstabwehr. Dann weiß man, wer schuld ist, wer bestraft werden muss oder von wem man Schadenersatz verlangen kann, und oft geht auch die Phantasie mit einem durch. So titelt orf.online auch gleich „Feuer gelegt?“ – und formt mit der Überschrift bereits die seelisch-geistige Verbrecherjagd bei all denjenigen, die nicht sprachkritisch mitdenken und liefert auch gleich eine Verdächtige samt Motiv: psychische Probleme.
Dabei könnte beim derzeitigen Ermittlungsstand auch ein Missgeschick, ein Unfall, ein Geräteschaden, eine Unachtsamkeit … Auslöser der Brandkatastrophe gewesen sein, und dass man als Bewohner oder Bewohnerin der Räume, in denen das Feuer ausgebrochen ist, „psychische Probleme“ aufweist, ist doch logisch – Angst, Panik, Selbstvorwürfe, Schuldgefühle usw. Es könnte aber auch ein Suizidversuch gewesen sein … wie vor einigen Jahren bei dem Haus in der Marc Aurel Straße in Wien, wo der Mieter mit seinen Mietrückständen überfordert war und lieber aus dem Leben scheiden wollte, als sich hilfesuchend an Schuldnerberatung oder Sozialamt zu wenden. Zu stolz sagen dann manche Leute; zu hohe Ansprüche an sich selbst als „perfekter Mensch“, vermute hingegen ich.
Psychische Probleme hat doch jeder Mensch gelegentlich im Laufe seines Lebens: Für kleine Kinder beginnt das mit streitenden Eltern, oder wenn man sich plötzlich als AußenseiterIn erfährt, bei Verlusterlebnissen, bei Horrordiagnosen – und ja, zu diesen gehört noch immer die Zuschreibung psychischer „Anormalität“, wie kurzfristig ein Verzweiflungszustand auch sein mag. Dann schauen die „Normalen“ meist unverständig bis verächtlich auf diejenigen herab, die sich nicht „zusammen nehmen“ (können) und „allein fertig“ werden – nämlich ohne andere mit ihrer Bedürftigkeit zu belästigen.
Es ist so leicht, in der konkreten sozialen Nähe denjenigen, die einem Angst machen, aus dem Weg zu gehen, ihnen Kommunikation zu verweigern und sie dann zu verdammen, wenn sie sich wehren (und je extremer so etwas auffällt, desto mehr kann man davon ausgehen, dass stillere Signale nicht wahrgenommen wurden).
Ich denke: Alle Bewohner dieses Hauses werden in der Folge der Brandkatastrophe psychische Probleme haben. Die Überlebenden wie auch diejenigen, deren Hab und Gut und Bleibe ruiniert wurde, diejenigen, die Hass- und Rachegefühle bewältigen müssen, und auch diejenigen, die sich vielleicht zu fragen beginnen, ob sie sich nicht mehr umeinander (die verhaftete Frau mitgemeint) hätten kümmern sollen.