Als ich in den 1970er Jahren freiberuflich für einen SPÖ-nahen Verlag arbeitete, bat mich die damalige Bundesfrauensekretärin Anna Demuth (1921–2020), ich möge doch dafür sorgen, dass sie ins Fernsehen kommen könne. Naiv und in der Medienbranche unerfahren wie ich damals noch war, rief ich daraufhin den für Innenpolitik zuständigen Redakteur an und gab dieses Ansinnen weiter. Der freundliche Journalist klärte mich in netter Weise auf, es müsse schon eine „G’schicht“ vorhanden sein – Person allein genüge nicht.
Später präzisierte dies ein anderer Medienmacher in einer Ausbildungsveranstaltung: Eine „G’schicht“ ist, wenn etwas das erste oder letzte Mal ist, oder ein Skandal – oder ein Wunder.
Nun fragte ich mich in den letzten Tagen: Ist die Verlegung des Mannes, der durch die „Zweitfamiliengründung“ mittels Vergewaltigung und Wegsperren seiner Tochter in einer unterirdischen Wohnung unter dem Keller seines Wohnhauses weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt worden war, vom Maßnahmenvollzug für geistig abnorme Rechtsbrecher in den „normalen“ Strafvollzug, aus dem der nunmehr 87jährige 2023 mittels Antrag auf bedingte Entlassung frei kommen könnte (PressReader.com – Zeitungen aus der ganzen Welt), eine „G’schicht“? Warum bringen Medien diese Nachricht?
Die Außergewöhnlichkeit und Summierung der Gesetzesverletzungen war damals zumindest in Österreich ein „erstes Mal“ – ähnliche Delikte gab es aber schon vorher wie nachher – aber Skandal war es aus meiner Sicht keiner: Alle staatlichen Instanzen hatten sich korrekt verhalten und tun das auch jetzt, und dass die Ehefrau nichts mitbekommen hatte, ist der Raffinesse des Täters zuzuschreiben. Verbrechen haben Absicht und Bemühen der Verheimlichung von vornherein in sich – außer sie geschehen im spontanen Affekt (es gibt auch wissentlich herbeigeführten). Und unter Wunder stelle ich mir auch etwas anderes vor.
Das Gericht habe sich der gutachterlichen Ansicht „der Reduktion der Gefährlichkeit mit fortgeschrittenem Lebensalter“ angeschlossen und dazu psychiatrische Kontrollen alle drei Monate als Auflage vorgesehen. Diese Formulierung finde ich unpassend – so wie viele juristische (oder andere fachspezifische) Wortschöpfungen den Phänomenen nicht gerecht werden, auf die sie sich beziehen: Verbrechen zeichnen sich oft durch lange vorher beginnende Vorbereitungs- wie auch langandauernd nachfolgende Vertuschungsdelikte aus. Diese sind aber kaum als „besondere Gefährlichkeit“ zu werten, sondern eher als Zeichen besonderer Vorsicht und damit Intelligenz – und dies mündet oft in narzisstische Selbsterhöhung über die „Stinos“, die „Stinknormalen“, die sich nichts trauen bzw. zutrauen.
Wenn jemand die Bedingungen erfüllt, die gesetzlich für eine Rückkehr in die soziale Gemeinschaft vorgesehen sind, sollten diese auch zugebilligt werden. Namensnennungen, auch wenn sie verkürzt werden, und Abbildungen aus jüngeren Jahren dienen dem nicht – ganz im Gegenteil ist zu erwarten, dass Mithäftlinge durch Besucher:innen von dieser „Übersiedlung“ erfahren – und wie sie dem „Neuen“ gegenüber reagieren könnten, möchte ich mir gar nicht ausmalen (wäre aber ein interessantes Forschungsprojekt für eine juristische oder psychologische Masterarbeit).
Mir ist es immer ein Anliegen, auf „Entsetzliches“ möglichst nicht emotional – z. B. skandalisierend, aktiv wie auch passiv voyeuristisch oder mit Vergeltungsimpulsen – sondern sachlich zu reagieren. Von den Medien erwarte ich daher Erklärungen, und zwar nicht nur psychologische, sondern vor allem auch rechtswissenschaftliche und justizverwaltungstechnische.