Conrad Seidl hat „dem Volk“ längst überfälligen Nachhilfeunterricht in politischer Bildung gegeben [PressReader.com – Zeitungen aus der ganzen Welt], indem er das Anforderungsprofil der Spitzen der Verwaltung erklärt hat. Was er nicht erklärt hat ist, dass Spitzenpolitiker, sofern sie aus dem Parteiapparat kommen und nicht Quereinsteiger sind – und das erkennt man bei letzteren meist sofort – für solche Funktionen in vielen Kursen und Schulungen ausgebildet worden sind.
Überfällig wäre aber auch, die Funktionsweisen innerhalb und quer durch die Ministerien (und die oft langwierigen Abstimmungen mit Europa-Recht) zu erklären – vor allem um die vielen still und korrekt arbeitenden Personen zu rehabilitieren, die auch viel Verantwortung auf sich lasten haben. Ich habe so viele in Seminaren für Verwaltungsakademien (von etlichen Bundesländern aber auch des Bundes) wie auch Einzelsupervisionen bei der Lösung fachlicher wie auch kommunikativer Probleme (was man aber gar nicht trennen kann) begleitet, und viele dieser Themen betrafen potenziellen Widerspruch gegen Vorgesetzte. Die Arbeit in einem Ministerium – oder einer Landesregierung – ist nicht mit der Arbeit in einer „Firma“ vergleichbar, das hat der langjährige Sektionschef im Wissenschaftsministerium Raoul Kneucker in seinem Buch „Bürokratische Demokratie – demokratische Bürokratie“ (Böhlau 2019) verdeutlicht, in dem er auch die Zukunftsperspektiven einer lebendigen Verwaltung im 3. Jahrtausend skizziert.
Zu all diesen Aspekten politischer Bildung gehört auch die Unterscheidung, ab wann eine Person öffentlich ist. Aus meiner Sicht als einschlägig universitär Unterrichtende (z. B. „Angewandte Sozialpsychologie für Jurist:innen“ an der univie) basiert dies darauf, ob jemand einen „öffentlichen Beruf“ ausübt (wie regelmäßig und entlohnt „Darstellende“ in Kunst-, Wissenschafts- oder auch Medienberufen) oder in einer (gewählten oder vergleichbaren) „öffentlichen Funktion“ agiert. Nur gelegentlich oder ehrenamtlich „aufzutreten“, rechtfertigt die Aufhebung des Schutzes des Privat- und Familienlebens (Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention) nicht – auch wenn die Yellow Press oder politische Gegner dies aus durchsichtigen Motiven so praktizieren bzw. verteidigen.
Politik wird traditionell als „schmutziges Geschäft“ – komplettes Zitat aus Simplicissimus 1882: „und verdirbt den Charakter“ – bezeichnet. Heute kontrollieren und kritisieren Opposition und Medien (zumindest in freien Demokratien) vermutete „dreckige Geschäfte“ und schießen dabei oft weit über das (angebliche) Ziel von Sauberkeit hinaus. In Diktaturen werden die Menschen gleich erschossen oder vergiftet.
Aber auch in unserer freien Welt – oft nicht physisch (gelegentlich leider auch dies), sondern sozial. Deswegen sollten wir alle den Schutz des Privatlebens einfordern und verteidigen: Wir wissen nie, wer in unserer engen Beziehungswelt nicht einmal „öffentlich“ wird, und nur gemeinsam fotografiert zu werden, macht aus uns noch keine „öffentlichen Personen“ – ganz im Gegenteil. Es ist wissenschaftlich gut belegt, dass im Kriegszustand vor allem Frauen und Kindern des „Feindes“ massive Gewalt angetan wird, um ihn zu demoralisieren.
Was dabei aber getötet wird, ist nicht nur die eigene Moral, sondern auch die eigene psychische Gesundheit. Auch das ist wissenschaftlich belegt – die Symptomatik der Traumatisierungen sexuell misshandelter Kinder wurde in Analogie zu den Kriegstraumatisierungen der Vietnam-Veteranen entdeckt!