In dem Buch „Deglobalisierung“ des Schweizer Allgemeinmediziners und – Eigendefinition „1968ers“ – Luzerner Ex-Mandatars Peter Mattmann-Allamand (Promedia Verlag 2021) habe ich vieles wiedergefunden, was ich seit gut drei Jahrzehnten immer wieder in Erinnerung rufe: Dass wir in allen Bereichen zur Ganzheitlichkeit zurückkommen müssen, wenn wir nicht „durch Einseitigkeit abstürzen wollen“. Zur Verdeutlichung verwende ich schon seit damals immer das Gleichnis vom Baum, dessen Wurzeln immer stärker und größer werden müssen, wenn seine Krone wächst – sonst fällt er irgendwann um und zerbricht.
So zeigt Mattmann-Allamand anschaulich die Negativfolgen einer global gesteuerten und primär auf Gewinn und unaufhörliches Wachstum zentrierten Wirtschaft, die beispielsweise ihre Produktionsstätten immer wieder dorthin verlagert, wo die Arbeitskosten am billigsten sind, oder militärische Absicherungen ihrer Investitionen unter dem Friedensetikett propagiert, indem sie durch Errichtung von „Stützpunkten“ ihre „Schutzbereitschaft“ demonstriert. Sichtweisen, die für einen Gesamtüberblick hilfreich sind – welche der gegensätzlichen politischen Bestrebungen man dann unterstützen oder bekämpfen mag, ist eine andere, höchstpersönliche Frage.
Solche Abhängigkeiten wurden vielen Menschen erst bei den Lieferschwierigkeiten in der Pandemie bewusst – ebenso wie die Benachteiligung ländlicher Gegenden oder umgekehrt die Nachteile von Landflucht und „Citybildung“ („Bodenpreissteigerung, Verdrängung der einheimischen Geschäfte und Gewerbe aus der City, Zerstörung von bezahlbarem Wohnraum, Entvölkerung der Innenstädte außerhalb der Geschäftszeiten.“ (S. 116))
Logisch, dass der Autor auch zur Pandemiebekämpfung Stellung bezieht und dabei auf das „starke Immunsystem“ baut. Wir kennen diese Sichtweise von vielen Politker:innen, die damit vor allem die jeweiligen Regierungsmaßnahmen in Frage stellen (denn andernfalls wäre es bloß intime Privatangelegenheit).
Was mich dabei stört, ist die Ignoranz all der Einflüsse, die das Immunsystem beeinträchtigen. Hassreden gehören auch dazu.
Es ist eine vielfach nachgeprüfte Binsenweisheit, dass der Lebensstil massiven Einfluss auf die Immunwerte eines Menschen nimmt, und gesunde Ernährung, Bewegung, ausreichender Schlaf salutogen (d. h. Gesundheit fördernd) wirkt. Was dabei nicht gesagt wird, ist, dass auch Existenzsicherheit, stützende Beziehungen, vor allem aber respektvoller Umgang und soziale Anerkennung wesentliche Faktoren darstellen, das Immunsystem zu stärken, anstatt im Mangelfall zu schwächen – so wie der Volksmund sagt: „Mit voller Hose ist gut stinken!“ (Dazu kleine tiefenpsychologische Anmerkung: In den Äußerungen des Unbewussten – z. B. Träumen – hat Kot häufig die Bedeutung von Geldstücken.)
Konkret: Wer Existenzängste hat – weil er oder sie nicht durch wohldotierte und dauerhafte Anstellung abgesichert ist – oder Beziehungssorgen, wer beschimpft oder ausgegrenzt wird oder gedemütigt, der verliert Immunkraft (und das kann man mittels Blutuntersuchungen nachweisen).
Wer ehrlich zu sich selbst ist, weiß, was es mit einem, einer macht, wenn man ihn oder sie attackiert, und dazu reicht, deren Ängste nicht ernst zu nehmen oder gar zu verspotten. Wer nicht ehrlich zu sich selbst ist, wird vermutlich Angst in Spott, Wut oder Hass umwandeln und sich sein Feindbild suchen, auf das man dann sein Seelengift „verschieben“ kann. Wenn man also sein Immunsystem schützen will, sollte man Kontakt mit toxischen Menschen vermeiden – und wenn sie auch nur über den Bildschirm (z. B. auf Facebook) auf einen zu kommen.