In den 1990er Jahren – Maria Rauch-Kallat war damals Familienministerin – saß ich im Rahmen einer Enquete in der Pause mit den anderen ReferentInnen beim gesponserten Mittagessen (das gab es damals noch), und darunter Ludwig Reiter, der wissenschaftliche Leiter der von mir und dem Diplomsozialarbeiter Werner Neubauer gegründeten Wiener Sexualberatungsstellen, damals führender systemischer Familientherapeut und Dozent am Institut für Psychotherapie der medizinischen Fakultät der Universität Wien, und der sagte, eigentlich sei in der Psychotherapie alles schon erfunden … es gäbe nur mehr „PR-Bezeichnungen“ für angebliche Spezialisierungen, denn mit jeder der über zwanzig in Österreich anerkannten Methoden könne man – mehr oder weniger gut, das hänge von der Therapeuten-Persönlichkeit ab – jede Störung behandeln.
Daran musste ich denken, als ich Robert Menasses Kritik an den ÖVP-Plakaten für die Wien-Wahl am 11. Oktober las. Eigentlich wurde schon lange kein wirklich aussagekräftiges oder „aktivierendes“ Wiener Wahlplakat mehr erfunden.
Wenn ich nachdenke, was sich so in meinem Gedächtnis verankert hat, war es Kreiskys Kopf mit dem „Ein Stück des Weges gemeinsam …“ (Nationalratswahlkampf / SPÖ) – und die zirkushaften „Bunten Vögel“-Plakate Erhard Buseks (Wien-Wahlkampf / ÖVP), der aus seinem Bürofenster weit ins Land hinaus blickende Erwin Pröll, Rückenansicht (Landtagswahlkampf NÖ / ÖVP) und die unsäglichen Grimassen-Plakate Franz Schnabels (Landtagswahlkampf NÖ / SPÖ).
Die „Bunten Vögel“ haben damals in Wien neuen Wind verbreitet – nämlich Kleinkunst und andere ähnliche „Nicht-Hochkultur“ ins Bewusstsein geholt, das Verdienst weiland Jörg Mauthes … lang ist’s her. Helmut Zilk hat das zumindest fortzusetzen versucht. Mauthe war selbst Künstler, Zilk war Kulturpolitiker. Auch Schulpolitiker. Leider wird noch immer mit dem Schuleintritt vielfach Kreativität zugunsten Anpassung an Durchschnitt (oder Hochziele) vermindert – nur die (wie sich später oft zeigt) kreativ Hochbegabten verweigern und fallen als „Verhaltensoriginelle“ unangenehm auf … und fehlen dann später, besonders „in Zeiten wie diesen“ (auch ein Kreisky-Wahlkampf-Slogan!), wo „die Wirtschaft“ Riesen-Innovationen brauchen würde.
Als ich in den 1970er Jahren die „Alibi-Frau“ im Vorstand der Jungen Generation in der SPÖ Wien war (Obmann war der humorbegabte Rudi Edlinger), haben wir die Wahlplakate der ÖVP – „Wir arbeiten für unser Wien“ in „Wir arbeiten für unsere Taschen“ „verbessert“. Heute ginge das wohl nicht mehr – die witzige Kreativität – und damit echter Humor, nicht Spott und Häme! – ist verloren gegangen. Außerdem wäre es nicht mehr wahr – die finanziellen Differenzen haben sich seit damals verändert, einerseits in den Randschichten (unten wie oben) angeglichen (z. B. zwischen Arbeitern und Angestellten), andererseits neue Ungleichheiten geschaffen (Alleinerzieherinnen). Jetzt sind noch gut 10 Tage bis zur Wahl – vielleicht werden noch konkrete echte Wahlprogramme präsentiert – zu tun gäbe es ja genug – nicht nur altbekannte Phrasen.
Aber für die Plakate würde ich mir wünschen, dass sie von „echten“ KünstlerInnen gestaltet würden; das wäre auch eine Unterstützung für die Angehörigen dieser Berufe, da hat ja kaum jemand solche Möglichkeiten wie etwa Berühmtheiten wie Attersee mit seinen Weinflaschen-Etiketten … und wenn die Darstellungen ankommen, könnte man sie kaufen wie seinerzeit die Grafik-Serien, die die Gewerkschaft promotet hat, und sich ins Wohnzimmer hängen oder ins Fenster oder als Profilbild auf Facebook … dann würden wenigstens Wiener KünstlerInnen „nach vorne gebracht“!