Als Jusstudent:innen (mein Ursprungsberuf, daher mein Doktorat) hatten wir einmal die folgende Frage zu diskutieren: Angenommen, jemand nimmt einen Brokatstoff, der jemand anderem gehört, und schneidert daraus einen tollen Abendmantel – wem gehört dann dieses Werk? Oder: Jemand malt in ein Gemälde eines anderen hinein – gehört es dann ihm?
Die Antwort lautete damals (mit der heutigen Gerichtspraxis bin ich seit meinem Berufswechsel zur Psychoanalyse nicht mehr sehr vertraut): Weiter be- oder verarbeitete Werke gehören der Person, die sie kostbarer macht – und wenn nicht, dann ist sie schadenersatzpflichtig.
Nun wird in den Medien gerätselt, ob André Heller ein Betrüger ist – oder ein Scherzbold („Kein kindischer Streich“, Der Standard, 08.11.2022, Seite 27), wie er sich selbst rechtfertigt – und ob ihm tätige Reue zuerkannt werden kann, da er doch den Erlös seiner „Gemeinschaftsarbeit“ (Betonung auf gemein oder auf Arbeit? „Das ist hier die Frage“ – frei nach Shakespeare, „Hamlet“ – „Ob’s edler im Gemüt, die Schleudern Des wütenden Geschicks erdulden, oder, Sich waffnend gegen eine See von Plagen, Im Widerstand zu enden.“ III. Akt, 1. Szene) zurückgezahlt hat. „Rechtzeitig“? Man wird das Komma auf der Zeitlinie nachprüfen müssen.
Aus psychoanalytischer Sicht zeigt sich hingegen auffallend, dass sofort nur strafrechtlich gedacht wird – und nicht zivilrechtlich.
Was sagt uns das über die Mentalität der Kritikerschaft?
Was besagt das über die Einschätzung des Gesamt-Werkes von André Heller? Wird er in seinem Heimatland Österreich ebenso als international renommierter Künstler wahrgenommen und wertgeschätzt wie Jean-Michel Basquiat? (Das schreibe ich wohlwissend von etlichen meiner Klient:innen, dass die Anerkennung als Künstler:in vor allem dem finanziellen Erfolg am Kunstmarkt zu verdanken ist.) Oder hat sich nur Neid auf die Multibegabung Hellers eingeschlichen – oder etwa gar heimlicher Antisemitismus?
Ich kann mich noch gut erinnern, wie mein Ehemann (1940–2009) zu Anfang unserer Ehe (1968), damals ORF-Redakteur mit einer täglichen Mittagskolumne auf Radio Wien, sich über den Kollegen „Mirliflor“ Franzi Heller lustig gemacht hat – was er erst aufgab, als er miterlebte, wie mich mein ähnliches Schicksal mit meinen – ein paar Jahre später von Anderen verwirklichten – Verbesserungsvorschlägen in der SPÖ Favoriten kränkte. Ich war – und bin auch heute noch – der Zeit um Jahre voraus und denke nicht nur linear in die Zukunft, sondern auch komplex, d. h. mehrperspektivisch.
Vielleicht liegt es eben daran, wenn sich jemand in der Selbstsicherheit seiner Berufung mehr zutraut (und erlaubt), als die Allgemeinheit (Betonung nochmals auf „gemein“) ihm zugesteht und entzückt reagiert, „wenn es ihn endlich erwischt hat“, das wütende Geschick … und sich fragt, was soll denn daran Kunst sein, wenn jemand Besenstiele mühselig mit kleinen Nägeln verziert und Bilder zerschneidet und neu arrangiert (und man keine Botschaft darin erkennen kann?).
Es ist der Kunstmarkt, der dafür sorgt, dass Kunst auch darin bestehen darf, Leinwand mit Farbtöpfen anzuschütten oder Bilder zu übermalen, schon auch, weil sich darin ein Gestaltungswille materialisiert – und wenn es nur Protest gegen den Vorwurf der „entarteten Kunst“ ist. Und genau der interessiert mich – selbst, wenn er nur eine quasi „gemalte Persiflage“ wäre.
Jetzt wäre ein „Menschenbild“ über André Heller fällig (nicht nur seine – über andere spannende Zeitgenossen, leider seltener Zeitgenossinnen).