Die letzten Tage vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein Meldung von sexuellen Übergriffen auf Kinder – nach österreichischem Recht bis zum Alter von 14 Jahren – in die Medien kommt: in Kindergärten, in Schulen, in Feriencamps, im SOS-Kinderdorf („Spender aus Österreich soll sich an Kindern in Asien vergangen haben“, Salzburger Nachrichten, 10.11.2022, S. 4), in Wohnungen von angeblichen Freunden sprich Drogendealern und heute wiederum einmal in der Katholischen Kirche („Staatsanwalt ermittelt gegen Kölner Kardinal“, Der Standard 16.11.2022, S. 4).

Ich finde diese Berichterstattungen höchst problematisch – weil sie geistige Bilder auslösen – Horrorbilder wie auch Hoffnungsbilder, und beide sind illusorisch. Die ersteren, weil sie so vage bleiben, dass sich die Adressat:innen oft zu wenig oder zu viel an Grenzverletzung vorstellen und dementsprechend dämonisieren oder verharmlosen, die zweiten, weil sie suggerieren, ein Konzept könne Untaten verhindern.

Geplante Delikte haben es grundsätzlich an sich, dass sie gut verborgen werden.

Man muss in jedem Einzelfall genau studieren, wie das Grooming – die Vorbereitung der Tat – abgelaufen ist, deswegen sind ja die interdiziplinären Fallkonferenzen zwischen Sozialarbeit und Polizei so wichtig, und wenn lokale Lehrkräfte oder auch Elternvereins-Funktionär:innen teilnähmen, wäre das kein Fehler.

Neuerdings kommen dann Appelle, es brauche Kinderschutzkonzepte. Solch eines habe ich schon 2018 auf Anforderung eines Kinder- und Jugendheimes in einem fortschrittlichen südlichen Bundesland erstellt, das in solch einen Verdacht geraten war. Und ich habe auf nachfolgende Schulungen bestanden – ohne diese ist es nämlich wirkungslos. Man braucht Profis, die alles fundiert erklären – und die Reaktionen beobachten und beantworten.

Es geht nämlich bei der Prävention sexueller Gewalt gegen Kinder (wie auch alle anderen Personen) nicht bloß um Wissen, was damit gemeint ist, wie und wo es stattfinden könnte und wie man dem vorbeugt – es geht vor allem um Worte und Sätze, wie man Verdacht anspricht. Man muss ja mit Vorwürfen von Verleumdung oder auch Klagen rechnen, wie mir meine über 50jährige Erfahrung als sowohl Juristin als auch Psychotherapeutin und Gewaltforscherin gezeigt hat. Auch deswegen habe ich mein jüngstes Buch „Sprechen ohne zu verletzen“ geschrieben – aber auch hier ist Lesen nur ein Ansatz, man muss es konkret vormachen bzw. erarbeiten.

Das Problem sind immer die geistigen Bilder. Sie sind Vorbilder.

Es braucht, wie bei der Suizidberichterstattung, neurolinguistisches Wissen und Methodik, um dem journalistischen Ideal des Storytelling zu widerstehen. Ich habe dazu bereits in den 1990er Jahren ein ganzes Bündel von Vorschlägen erarbeitet – vor allem medienpädagogische, besonders für audiovisuelle Medien. Liegen alle in meinem Archiv.

Es wäre eine Aufgabe des Zusammenwirkens der einschlägig zuständigen Ministerien, hier tätig zu werden. Denn im Gegensatz zum Schutz von Kunstwerken kann man nicht neben jedes Kind eine:n Aufpasser:in stellen – wir alle müssen aufpassen, daher brauchen wir alle das Wissen … und weil es dann auch die potenziellen Täter:innen haben, brauchen wir auch dafür Verhaltensmodelle.