In seinem Buch über Intuition als Hilfe, potenzielle Gewalttäter, männlich oder weiblich, zu erkennen (gebundene Ausgabe „Mut zur Angst“ bzw. „Vertraue deiner Angst“ als Taschenbuch), nennt der US-amerikanische Sicherheitsexperte und Personenschützer Gavin de Becker (siehe meine beiden letzten Briefe gegen Gewalt) die Methode „Rollenfestlegungen“. Damit meint er das Austesten, ob sich jemand wehrt, wenn man ihr oder ihm eine Eigenschaft quasi wie ein Etikett anheftet, die dann das weitere Verhalten bestimmen soll.

Wenn man beispielsweise einem Kind, das etwas nicht teilen will, in solch einem Moment (und später immer wieder) sagt, „Du teilst doch sonst immer so lieb deine Spielsachen“ oder Kekse oder was auch immer, dann wird das Kind als „lieb“ etikettiert und gleichzeitig daran gehindert, sich abzugrenzen oder zu den eigenen Zielen zu stehen. Bekannt? So werden viele – besonders Mädchen – von klein auf zum Nachgeben erzogen.

Alternativ könnte die Erziehungsperson aber auch sagen: „Denk mal nach – was spricht fürs Teilen? Und was dagegen?“, und danach „Wie wirst du dich entscheiden?“ Das braucht natürlich viel mehr Zeit, bringt vermutlich Kritik von anderen Eltern und später Kritik vom Kind an den Erwachsenen, Familie inbegriffen – fördert aber einen selbstbewussten und wehrhaften Menschen.

Absolut formulierte Bewertungen wie Lob und Tadel sind Manipulationsinstrumente. „Du bist …“ lässt wenig Raum für situationsangepasste Flexibilität – eine Überlebensfrage frei nach Darwins „survival of the fittest“: Nicht die sportlichste Person überlebt, sondern die, die sich am besten anpassen kann (was nicht unterwerfen heißt – das ist nur eine unter vielen Möglichkeiten!).

Beim sogenannten „Etikettieren“ wird eine Zwangsanpassung nach dem Willen einer anderen Person versucht. In der psychotherapeutischen Schule der Transaktionsanalyse werden solche Namensgebungen als Stressoren enttarnt: Sei lieb! (d. h. Sag nicht Nein!) Sei schnell! (d. h. mach keine Pausen!) Sei perfekt! (Mach keine Fehler!) Sei stark! (Fordere keine Hilfe!) und so weiter …

Besonders perfide ist dabei das Spiel mit dem „Ja früher …“: „Ja früher, da war er/sie noch verlässlich …“, „Ja früher, da hast du mir doch alles erzählt …“ So wird der anderen Person Versagen, Misstrauen etc. unterstellt und sie verlockt, beweisen zu wollen, dass sie sich nicht verändert – vor allem: nicht weiter entwickelt hat.

Daher: Wenn man jemand loben will, dann in Ich-Form: Das gefällt mir bzw. Das gefällt mir nicht. Oder: Da mache ich mir Sorgen, dass … und dann kann es passieren, dass einem das eigene Kind (oder PartnerIn oder MitarbeiterIn …) freundlich sagt „Ich bin nicht so dumm / unachtsam / oberflächlich … für wie du mich hältst!“

Ups!