Vorab: Das neue zweite Buch von Yvonne Widler, Leiterin des „Lebensart“-Ressorts der Tageszeitung Kurier, „Heimat bist du toter Töchter. Warum Männer Frauen ermorden – und wir nicht mehr wegsehen dürfen“ (Kremayr & Scheriau, € 24,–) ist das beste, was ich in den letzten Wochen gelesen habe – und ich lese fast täglich ein Buch. Jede Frau und jedes Mädchen sollte es lesen. Es wird sie desillusionieren – und das ist nicht nur grundsätzlich wichtig, sondern eben oft auch lebensrettend.
Was mir – auch als bisher einzige österreichische Universitätsprofessorin für Prävention und Gesundheitskommunikation – besonders gefallen hat, ist die intensive Recherche – auch wenn sie Kritiker:innen an den auch hier wieder genannten Täter-Motiven wie mich, nicht befragt hat. Verständlich, Widler ist Journalistin und daher kann sie einen allfälligen Vorwurf mangelnder Objektivität ignorieren, wir Wissenschafter:innen nicht – und dem Verkaufs- und Besinnungserfolg des Buches, den ich ihr von Herzen wünsche, wird die „Parteilichkeit“ nützen, und das ist auch gut so, und wenn es auch nur einer Frau das Leben rettet – und auch das Gewissen.
So habe ich erst vergangenen Donnerstag mit einer 84jährigen Frau gearbeitet, die noch immer Schuldgefühle hat, dass sie sich als 16jährige aus Angst um ihr Leben ihrem Vergewaltiger (dem Taxilenker, der sie heimbringen sollte!) „gefügt“ hat. Ja, nicht der – nicht angezeigte, es waren die 1950er Jahre! – Täter hat „lebenslänglich“, sondern die Überlebende.
Was mir auch gefallen hat, ist, dass sie die Herkunft der – von mir immer wieder kritisierten – Neuwortschöpfung „Femizid“ erklärt (Seite 30) – und vor allem, dass sie den wissenschaftlich korrekten Begriff „Intimizid“ daneben stellt.
Femizid ist ein politischer Kampfbegriff, mit dem Frauen gegen die Rechtfertigungsstrategien von Tätern auftreten. Genau das ist auch mein Ziel, seitdem ich als Juristin promoviert habe (1967). Ich bin aber u. a. auch Neurolinguistin, und da stört mich das „Mantra“, siehe Wikipedia: „Als Femizid bezeichnet man die Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts.“ Das lasse ich nur für die Tötung von weiblichen Föten und Babys und die „Feuerunfälle von Ehefrauen“ in Indien gelten. Aber all die entsetzlichen Tötungen von aktuellen oder getrennten Partnerinnen haben andere Gründe als „das Geschlecht“ bzw. der Titel der ganzen Seite mit einem Vorabdruck aus Yvonne Widlers Buch im Kurier vom Sonntag, 11.09., Seite 22: „Getötet, weil sie Frauen sind“.
Nein, sie wurden nicht getötet, weil sie Frauen sind – sie wurden hingerichtet, weil die Täter (auch wenn sie psychisch krank, z. B. paranoid eifersüchtig waren) sich das Recht herausgenommen haben, die Partnerin zu bestrafen. Dagegen muss protestiert werden – gegen das geistig bewahrte „Züchtigungsrecht“. (Alle im Buch gelisteten Motive sind nur Puzzlesteine bei dem einen oder anderen und stammen primär aus den medial verbreiteten Verteidigungskonzepten vor Gericht.) Deswegen ist es eine gesundheitspolitische Katastrophe, wenn in einem US-Staat wieder Körperstrafen in der Schule erlaubt werden (US-Schulbezirk führt Prügelstrafe für Schüler wieder ein | kurier.at). Durch Strafen lernt man nur strafen, das schrieb die polnisch-schweizer Psychoanalytikerin Alice Miller (1923–2010) in ihrem Buch „Am Anfang war Erziehung“.
Es muss aber auch gegen verdummenden Missbrauch von Sprache protestiert werden: Denn auch wenn ein Satz immer wieder repetiert wird, wird er nicht wahr. „Hingerichtet“ werden auch andere nahestehende Personen, wenn sie nicht tun wollen, was der Täter will – etwa kein Geld hergeben für Alkohol oder Drogen, das Erbe verweigern, nicht ins Pflegeheim gehen wollen – oder eben auch, wenn sie „nur“ kritisieren.
Deswegen plädiere ich für den Ersatz des Wortes „Femizid“ durch „Intimizid“ – wohl wissend, dass klassische Fachliteratur wie Wilfried Rasch, „Tötung des Intimpartners“ (1964, Reprint 1995) oder Jens Hoffmann / Isabel Wondrak (Hg), „Häusliche Gewalt und Tötung des Intimpartners“ (2006) weniger Aufmerksamkeit beanspruchen kann wie ein politisch eingesetztes Schlagwort (das vielleicht primär mögliche Kritikerschaft erschlagen soll).
Die Buch-Erstpräsentation findet am 21. September um 19 Uhr im Thalia, 1060 Wien, Mariahilfer Straße 99 statt.