Die Venus von Willendorf sei kein Fruchtbarkeits- oder Sexsymbol, wird aktuell als Entschlüsselung angeboten (Venus von Willendorf: Großmutter statt Sexsymbol – science.ORF.at) sondern stelle die weise alte Frau dar. Begründet wird dies auf Grund ihres Körpers – aber nicht alle alte Frauen gehen in die Breite. Auch nicht alle Schwangere.
Eine überschlanke Freundin erzählte mir einmal, ihr geschiedener Ehemann, ein Psychoanalytiker, hätte ihr auf den Kopf zugesagt: „Frauen im Alter werden entweder Kühe oder Ziegen – Du wirst eine Ziege!“ Ich replizierte darauf kühl: „Und Männer werden wohl Böcke oder Ochsen – wo verortet er sich?“ Aber schon vielsagend, dass der Psychiater Menschen mit Tieren verglich …
Ich habe vor etlichen Jahren in einem Vortrag im Haus der Regionen in Krems meiner Überzeugung Ausdruck gegeben, dass es sich bei der Willendorferin um einen Fetisch zur Bewältigung von Geburtsschmerzen handelt und dies mit der 11 cm Winzigkeit der Statuette begründet: So einen Talisman konnte eine Gebärende gut mit einer Hand umklammern.
Ich habe mich dabei auf die Überlegungen weniger von Archäolog:innen (und die aktuell neue Erkenntnisse über die Zeit der Herstellung publizieren) als von Ethnolog:innen wie Hans Biedermann („Die großen Mütter“ 1987) oder Anthropolog:innen bezogen wie beispielsweise der Autorin Barbara Tedlock („Die Kunst der Schamanin“ 2005), die besonders auf die „fast vollständig verkümmerten Hände“ der Willendorferin hinweist (S. 54): Jede Frau, die einmal geboren hat, weiß, dass während der Entbindung ihre Energie auf alle anderen Körperregionen fokussiert ist, nur nicht auf die Hände – und wer sich mit Heilgebärden befasst, kommt schnell darauf, dass auf die Brust gelegte Hände eine Geste des „Empfangens“ sind. Tedlock erinnert an dieser Stelle auch daran, dass bei den traditionellen Interpretationen vorausgesetzt wurde, dass diese Figurinen als erotische Amulette und Sexspielzeug von Männern hergestellt waren, da Frauenkörper „nur dort von Interesse waren, wo sie männlichen Bedürfnissen dienten“ und „in erster Linie zur Befriedigung der sexuellen und Fortpflanzungsbedürfnisse der Männer da“ waren.
Kritischer formulierte früher schon der an der Universität Graz lehrende Wiener Hans Biedermann (1930–1989), dass Verfasser offenbar Mühe hatten, „angesichts der so ausgeprägt unklassischen Proportionen des Figürchens den angebotenen Ernst zu bewahren“ (Hervorhebung von mir), denn die Bezeichnung „Steinzeit-Venus“ illustriere genügend gut, wie darin „der Hochmut des hochkultivierten Angehörigen der europäischen Zivilisation“ unterschwellig mitschwinge, denn „offensichtlich stellte sich kaum jemand die Frage, ob denn die Darstellung eines abstrakten Schönheitsbildes wirklich die Triebfeder für die Schöpfung der kleinen Steinfigur dargestellt haben kann“ (S. 12). Er verweist auch darauf, dass es bei all diesen antiken kleinen Figuren „nie eine erkennbare Standfläche“ gibt, obwohl eine solche leicht hätte mitgeformt werden können, hingegen diese in der Mehrzahl gut „in die Menschenhand hineinpassen“ und er erinnert an die Augenblicke im Menschenleben, in denen man sich festkrallen will – in der Verwundung, des Schmerzes und Todes, eher aber noch in den Wehen der Geburt, und er resümiert: „Die Frau während der Entbindung mag sich an dem Bild der Großen Mutter Kraft geholt haben …“ wie bereits 1976 der tschechische Prähistoriker Jan Jelínek erwähnte, dass der sibirische Volksstamm der Tschuktschen aus Bein geschnittene Figuren „als magische Gegenstände bei Geburten verwendeten“ (S. 13).
Es liegt wohl ein Unterschied darin, ob man die Frage stellt, wen eine Figur darstellen soll (dann definiert man sie als Objekt), oder, wofür sie genutzt wurde (dann sieht man sie als quasi wirkendes Subjekt) – oder aber gar, welchen „Geist“ (Spirit, Energieausfluss) die gestaltende Person von vornherein prägend („taufend“) hineinlegen wollte.