In der von mir sogenannten „3. sexuellen Revolution“ in den 1960er und 70er Jahren (siehe mein Buch „Sexuelle Reformation“, LIT Verlag, Berlin) wurden viele Verbote und Gebote verworfen, ohne alle innewohnenden Ziele auf Sinnhaftigkeit zu hinterfragen. Meist war das geheim Ziel, unterwürfige „brave“ Soldaten und unterwürfige „brave“ Hausfrauen und Mütter heranzuziehen. (Ziehen!)
Im Versuch, aus gehemmten unglücklichen und kranken Menschen freie glückliche und gesunde zu machen (auch eine Form von paternalistischer Gewalt!), entstand auch in Mitteleuropa ein Psychoboom mit Gruppendynamik (zur Erkenntnis, wie wir aufeinander reagieren), Encounter- (Begegnungs-) Bewegung zum Experimentieren mit Nähe und Distanz und unter anderem vor allem auch Gestaltpsychotherapie, um aus dem menschlichen Unfertigsein ein Gefühl für Ganzheit zu entwickeln. Hieß es bei Sigmund Freud noch „Wo ES (das Triebhafte) war, soll ICH (das Selbstkontrollierte) werden“, hieß es jetzt „Wo ICH war, soll wieder ES werden dürfen“ – zum Beispiel in der Sexualität, und viele freuten sich, nun alle Hemmungen fallen lassen zu dürfen.
Der Zaubersatz hieß: Lass es zu!
Aber „Lass es zu!“ ist nicht gleichbedeutend mit „Leb es aus!“ – nämlich deinen Impuls.
Wenn gehemmte Möchtergern-Liebespaare (Betonung auf Paare!) im Bett (oder wo auch immer) ihre Blockaden loswerden wollten, hieß es zuerst, die Blockade erkennen und verwandeln, denn oft hatte sie ja auch Sinn. Heute kommen Menschen in Beratung und Therapie, weil sie nicht verstehen, wieso ihr Körper blockt, wo ihr Geist doch so willig wäre … und dann stellt sich heraus, ganz so willig ist er nicht.
Aus dem Zwang zur Impulskontrolle ist ein Zwang zur Nicht-Impulskontrolle geworden, verstärkt durch irreale Pornobilder auf allen „magischen Kanälen“.