Wir dürfen die sozialen Felder nicht den Hassenden und den Zornigen überlassen, schreibt Anton Grabner-Haider in seinem neuen Sammelband „Denken im Widerstand – Fake News und neue Ideologien“ (S. 41, Plattform Johannes Martinek Verlag, Mai 2022), und im gleichen Buch erklärt Manfred Prisching, dass Feinde Identität schaffen (S. 91).

Identität bedeutet für mich, ein sicheres inneres Selbstwertgefühl, das vor allem auch auf außen gelebten Werten basiert – beispielsweise dem bewussten Verzicht auf Hass. Etwas oder jemanden nicht zu mögen, genügt doch? Und diese „Selbstoffenbarung“ zu begründen, gestattet unsere in den Menschenrechtskonventionen verbriefte Meinungsfreiheit: Man bleibt „im eigenen Revier“ und formuliert, weswegen man sich bestimmten Bewertungen und Ideologien nicht anschließt oder auf größere Distanz geht, und die besteht oft im Austritt aus einem Verein, einer Partei oder einer Religionsgemeinschaft, in Auszug, Scheidung, Übersiedlung und oft hilft nur Emigration, um sich vor den Verfolgungen durch Feinde zu schützen.

Für manche Menschen ist die Verfolgung bewusst definierter Feinde – nicht bloß Gegner mit anderen Ansichten – die Basis ihrer Identität: Feind bedeutet dann oft, dass er oder sie nicht tut, was man will, z. B. nicht schweigt. Für manche Ehefrauen ist das ihr Todesurteil – wenn ihr Mörder Widerspruch oder Widerstand nicht erträgt, weil seine eigenen Selbstbehauptungsversuche brutal niedergekämpft worden waren und er diese Methode als einzig richtige verinnerlicht hat.

Identifikation mit dem Aggressor heißt dies in der Sprache der Psychoanalyse, und wenn ich Tiefenpsychologie unterrichte, erkläre ich das so: Wenn eine „Übermacht“ (grausame Väter oder Mütter, Lehrkräfte, Vorgesetzte etc.) ihren Zorn am Schwächeren auszulassen beginnt, gibt es nur zwei sichere Orte – an deren Seite oder hinter ihnen. Kleine Kinder verstecken sich nach Möglichkeit hinter ihnen, möglichst weit weg, das gehört zum Fluchtinstinkt, hilft aber selten, wenn Rasende hinter ihnen her sind; später schließen sich die derart schon in ihrer Kindheit Traumatisierten gerne gewaltbereiten Gruppen an, und darin verborgen liegt die Sehnsucht und Hoffnung auf Gerechtigkeit, denn tief im Inneren bleibt ja das Empfinden, dass die erlittene Gewalt nicht gerechtfertigt war – so wie Gewalt überhaupt, und dabei darf nicht auf die soziale Gewalt vergessen werden, die in der Ignoranz von Benachteiligungen besteht.

Benachteiligungen lassen sich kurzfristig nicht vermeiden, denn Gerechtigkeit kann nicht verordnet werden – wenn man sich zu ihr bekennt, ist sie ein Prozess immer wieder neuer Aushandlungen und Vereinbarungen. Will man Gerechtigkeit, muss man Korrekturen ermöglichen, und zwar nicht aus „Gnade“ (sprich Freunderlwirtschaft), sondern durch „Chancen“, und die wiederum setzen Informationen darüber voraus, Anleitung und Beistand, denn nur das selbst Erarbeitete schafft eine Identität, die nicht des Neides, Hasses und der Überheblichkeit bedarf.