So rund um 15, in der Hochpubertät, stellt sich für alle die Frage: Was für ein Mann, was für eine Frau will ich werden? Den klügeren ist diese auszufüllende Zukunftsperspektive bewusst, sie fragen, sie denken nach, sie vergleichen – und sie suchen Orientierung an Vorbildern.
Letzteres tun auch die weniger Klugen, sie orientieren sich aber an Filmhelden und zunehmend auch Heldinnen, und die sind selten alltagstauglich weil generell gewalttätig. Kung Fu ohne die dazu gehörige Philosophie des Nicht-Angreifens.
Vor hundert Jahren waren meist noch die Eltern die Vor-Bilder oder irgendwelche Verwandte aus der Großfamilie. Lehrpersonen. Und in den Filmen ging es noch harmlos zu, Neuheit genügte als Attraktion.
Dann kam die „schlechte Zeit“ – der Erste Weltkrieg brachte Gebietsverkleinerungen und damit wirtschaftliche Einbußen, Geldentwertungen am laufenden Band und Massenarbeitslosigkeit, d. h. Verlust der sicheren Vergangenheit (wie schlecht die auch gewesen sein mochte) und keine Aussichten auf eine bessere Zukunft (außer für manche Schieber und Spekulanten). Die Eltern waren keine Helden mehr und daher auch selten Vorbilder. Da war das Angebot nationalistischer Menschenfischer – für viele die einzige Alternative, dieser Misere zu entkommen – nicht nur wegen der neuen Arbeitsplätze im Zuge der neuerlichen Aufrüstung, sondern vor allem durch die geistige Aufrichtung im Idealbild des brutalen Herrenmenschen im Einheitskollektiv, angebetet von einer dauergebärenden dienenden Frau wie Mutti. Diese Rollenbilder wurden in den neuen Medien Film und Funk multipliziert – es gab ja ein Propagandaministerium! – und mit sichtbaren Auszeichnungen belobigt. Wohin das geführt hat, zeigt die Geschichte.
Heute werden in vielen Filmen und Raps ähnlich brutale Role-Models propagiert, nur zunehmend auch für Frauen – und wieder identifizieren sich Jugendliche mit den Schlägertypen. Gewalt verheißt, Sieger zu sein und das ist ein gutes Gefühl – wenn man sonst keine Alternative weiß, wie man bedeutend werden kann.
Wenn sich aber ein 15 jähriges Mädchen ohne Gegenwehr zusammenschlagen lässt, heißt das, sie ist mit den Filmheld_innen identifiziert, die unerschüttert Folter ertragen – aber das ist Fiktion (oder in unserem Kulturkreis die heute verbotene Realität vergangener Zeiten).
Wenn Jugendliche jemand lebensgefährlich zusammenschlagen, heißt das, sie sind mit den Schlägern in den Filmen identifiziert – aber das auch „gespielt“ – und sie haben keine Ahnung von den Folgen in der Wirklichkeit, denn die ist nicht Fiktion. Zum Schauspiel wird es aber, wenn es auf Facebook gepostet wird.
Früher hat es gereicht, anzugeben. Heute muss alles „sichtbar“ bewiesen werden.
Wäre es nicht an der Zeit, einen Straftatbestand für all diejenigen einzuführen, die strafbare Handlungen filmen und verbreiten?
Und statt medial zu verbreiten, dass Jugendliche „eh nicht“ belangt werden können und auch keine Geldstrafen bekommen, weil sie kein Einkommen haben, daran zu erinnern, dass sie ihre Raten fürs Moped ja auch oft länger zahlen, als es „die Maschin“ gibt …
Geht es nicht eher darum, die Wahrheit zu sagen: Dass Alexithymie – die Unfähigkeit eigene oder fremde Gefühle wahrzunehmen – sich zu einer seelischen Epidemie verbreitet (was schon die Weltgesundheitsorganisation festgestellt hat). Und dass das mit dem steten Zuschauen vor den Flimmerkisten zusammenhängt. Schauen fördert Distanz. Warum schließen die meisten Menschen die Augen, wenn sie hören, riechen, schmecken oder – lieben wollen?
Und dass man daher das Fühlen fördern sollte – das können die „musischen“ Fächer im Schulunterricht bieten. Dazu die Lehrerschaft fortzubilden ist genau so wichtig, wie der Umgang mit Computern.
Andere zu foltern ist krank und braucht psychiatrische Abklärung – das sollte nicht in falschem Helfersyndrom verharmlost werden.
Helfen heißt, nicht schonen, sondern Verantwortung einfordern!
Andere Vorbilder präsentieren.
Und denen, die sich das trauen, beizustehen, damit die nicht die nächsten Opfer sind.