Dass Dichtestress eine Belastung darstellt, kennen viele aus der U-Bahn in Stoßzeiten – oder aus Liften, in die sich eine Person zu viel hineindrängt (oder eine, die für zwei zählt).
Im trauten Heim ist er eher ungewohnt – außer bei umfangreichem Verwandtenbesuch, so man den nicht auf mehrere Gästezimmer aufteilen kann. Aber der geht meist schnell vorbei.
Anders ist es, wenn zwei Home-Offices und mehrere Home-Schoolings um Prioritäten um den einzigen Laptop, so überhaupt vorhanden, argumentieren müssen. Da wird schnell Rivalität daraus, Kampf um Vorrang und damit qualifizierter Dichtestress – nicht nur wegen der langen Dauer, sondern auch, weil „Nachsehen haben“ auch konkrete Nachteile mit sich bringt.
In dem höchst interessanten Buch „Rebellinnen und Rebellen der Pädagogik“ des Vorarlberger Waldorf-, Montessori- und Waldpädagogen Rainer Wisiak (* 1963), soeben im LIT-Verlag erschienen, haben mich seine Hinweise auf die lange Tradition des „Home-Schooling“ in den Vereinigten Staaten überrascht. Er schreibt, „dort findet jährlich für ca. 1,5 Millionen Kinder“ Unterricht in dieser Form statt. „Eine große Mehrheit der Eltern (83 Prozent) gibt an, ihre Kinder aus religiösen oder moralischen Gründen selbst unterrichten zu wollen.“ Und, „Erst seit einigen Jahrzehnten steigt die Zahl jener Eltern, die nicht einfach die traditionelle Schule (plus Religionsunterricht) mit all ihren Lehrplänen nach Hause verlagern, sondern den Kindern abseits von Schulen die Möglichkeit bieten wollen, selbstbestimmt lernen zu können.“ Und er zitiert den in Wien geborenen katholischen Priester, Philosophen und Vize-Rektor der katholischen Universität von Puerto Rico, Ivan Illich (1926–2002), der unter dem von ihm geprägten Begriff des „Deschooling“ den Versuch verstand, „das Monopol der Schule auf Vermittlung von Wissen und Vergabe von Titeln und Berechtigungen zu brechen und sie durch ein Netz ,kommunikativer und geselliger Institutionen‘ zu ersetzen.“ (S. 192). (Hervorhebung von mir.)
Österreich war am Beginn des 20. Jahrhunderts Land unzähliger Reformpädagog*innen, manche mussten und konnten in den 1930er Wende-Jahren emigrieren, zu gefährlich waren sie einem Regime, das auf Gleichschaltung setzte. (Ähnliches erleben wir heute in China.) Manche kamen kurz oder lang ins KZ und wurden dort ermordet wie Otto Felix Kanitz (1894–1940), und viele waren nicht nur praktisch in der Kinder- und Jugendarbeit tätig, sondern auch fundierte Theoretiker, die sich ihr Wissen „nebstbei“ erstudierten, und viele bekleideten auch Abgeordnetenmandate – ohne zu „Schreibtischtätern“ zu werden.
Das fehlt mir heute.
Und mir fehlt auch das Schulfernsehen, das in den 1980er Jahren abgeschafft wurde. Denn gerade in Zeiten der ersten weltweiten Pandemie wäre es wohl sinnvoller, nicht nur ein körperliches Fitness-Programm anzubieten, sondern auch ein geistiges – und ein seelisches. (Für letzteres habe ich selbst in den 1990er Jahren ein Konzept entwickelt – nur sind mir meine Gesprächspartner Walter Schiejok und E. W. Marboe unvermutet abhanden gekommen.) Der frontale Teil davon würde auch den Eltern und überhaupt allen nicht schaden – und den interaktiven kann man digital bewältigen, nicht nur mit „Berechtigten“ sondern mit vielen, die das können und wollen.