In meiner Facebook-„Echokammer“ habe ich soeben ein Meuchelfoto von Karoline Edtstadler entdeckt mit Kommentaren wie z. B. „Cruella“. Die Kanzleramtsministerin hat auf diesem Foto halbgeschlossene Augen. In Wien nennt man dies, wenn man wohlwollend ist, „fades Aug‘“. Aber die das Foto ins Netz gestellt haben, sind nicht wohlwollend, auch nicht heiter oder witzig – sie sind bösartig.
Ich musste leider sofort protestieren – wohl wissend, dass ich damit womöglich einen shitstorm auf mich ziehe. Ich musste das aus Fairness, nicht nur, weil ich Karoline Edtstadler als freundliche, hilfsbereite Kollegin (ich bin ja vom Ursprungsberuf auch Juristin) kennen gelernt habe, sondern weil ich es unfair finde, einen Gesichtsausdruck, der vor allem Ermüdung (!) signalisiert, als Grausamkeit fehlzuinterpretieren. Man könnte auch Ekel hineininterpretieren – aber da wäre die Mundhaltung eine andere. Und mit halbgeöffenetem Mund würde dieser Blick als „erotisch“ interpretiert … vgl. Marilyn Monroe. (Leider haben die wenigsten, die sich als Köpersprache-Experten ausgeben, die jahrelange Erfahrung von spezifisch erfahrenen PsychotherapeutInnen, sondern phantasieren etwas zusammen, was überhaupt nicht stimmt. Nur weil z. B. ein Pantomime etwas auf bestimmte Weise darstellen würde, heißt das noch lange nicht, dass das auf andere Menschen zutrifft!)
Man kann von jedem Menschen Meuchelfotos machen. Berufsfotografen machen ja unzählige Fotos – klickklickklick in rasanter Geschwindigkeit – und die fairen werfen dann von den etwa 100 vielleicht 90 weg. Die unfairen vermarkten gezielt die grauslichsten dort, wo sie die passenden Hater vermuten – beispielsweise bei politischen Gegnern oder hasserfüllten KonkurrentInnen. Ist mir auch schon mehrmals passiert – Schönfoto von der Kollegin, von der die Anti-Perner-Kampagne ausging, Meuchelfoto von mir, oder Artikel über Feministinnen und von allen Zitierten grünstichige Meuchelfotos. Es gibt Fotografen, die dafür bekannt sind, genau in dem Augenblick abzudrücken, wo man gerade beim Sprechen nur die unteren Zähne sieht – Botschaft „Bissgurn“ – und das ist auch eine Kunst, aber halt keine wertschätzende.
Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich bin durchaus einverstanden, wenn man PolitikerInnen der Partei, die man nicht mag, kritisiert – aber bitte nur deren Positionen oder konkretes Verhalten, und zwar sachlich, begründet und mit nachprüfbaren seriösen Quellen belegt – aber nicht das Aussehen. Ich finde es auch akzeptabel, wenn man sich deklariert und sagt, den oder die mag ich nicht, Begründung nicht nötig. Nur die Hasslawinen, die derzeit wie nie zuvor über manche PolitikerInnen gelenkt werden, empfinde ich zivilisierter BürgerInnen unwürdig.
In der Psychoanalyse heißt es „Wiederholungszwang“, wenn man anderen Leuten genau das antut, was einem selbst angetan wurde. Damit hört der Hass nie auf … Zur Erinnerung: In Johannes 8, 7 (dem Kapitel über die Ehebrecherin) sagt Jesus zu der geifernden Menge: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“