Donald Trump hätte Angela Merkel den üblichen Händedruck vor Fotografen verweigert, war da in den letzten Tagen zu lesen – aber zuletzt hat er sich dann doch überwunden … und sein Image als unberechenbarer Revolutionär (zumindest der Benimm-Sitten) erneuert.
Einem anderen die Hand zu geben, bedeutet die Überprüfung zu ermöglichen, dass sich darin keine Waffe befindet. Dem diente auch der römische Gruß in der Antike (und der heute verbotene „deutsche“ des Dritten Reichs), und wird schon von kleinen Kindern verlangt – und weil man denen solche Verletzungen ihres Reviers durch fremde Leute nur mit Mahnung bis Drohung beibringen kann (denn liebe Bekannte begrüßen sie anders, auf Kinderart eben), mahnen und drohen diese dann später als Erwachsene, wenn jemand dieser „Etikette“ nicht folgt.
Ich sage oft zu meinen KlientInnen, wenn sie mir „brav“ die Grußhand entgegen strecken: „Sie brauchen mir nicht ,das schöne Handi‘ zu geben!“ – und viele sind dann konsterniert. Dann erkläre ich: Die konkrete Benimmregel lautet: Die ältere und die Status-höhere Person reicht der anderen die Hand und ebenso Frauen Männern – nicht umgekehrt. (Bei mir treffen meist alle drei Bedingungen zusammen.) Die meisten lachen dann und sagen, „Das hab ich halt so gelernt …“
Tatsächlich leide ich, wenn ich kalte Fischhände oder heiße Schweißhände zu spüren bekomme, und außerdem habe ich erfahren: Wenn ich das Handgeben vermeide, werde ich nicht krank – sonst immer (Wirklich! Ich kann ja nicht nach jeder Person Hände waschen gehen, wenn ich Vorträge zu halten habe …) Deswegen warne ich oft präventiv: Ich gebe keine Hand – und die meisten Menschen akzeptieren das, denn ich grüße mit lächelndem Blick und Mund. Es gibt aber auch die Tyrannen, die sich sogleich echauffieren (was deren Gesundheit abträglich ist!), man müsse das eben so tun, das wäre „das Benimm-ABC in unserem Kulturkreis“ (Zitat Birgit Braunrath im Kurier vom 20. 3. 2017). Mich erinnert das an den legendären Habsburger-Vogt Hermann Gessler, dessen in der Schwyz auf einer Stange aufgesteckten Hut der Sage nach Wilhelm Tell um 1300 den Gruß verweigerte – das war damals auch Benimm-ABC – und dieser rebellische Akt führte, wie bei Friedrich Schiller nachzulesen, zur Gründung der Schweiz als „einig Volk von Brüdern“ (sprich Kantonen).
Vor einigen Tagen absolvierte ich ein Fortbildungsseminar der Diakonie Österreich. Darin wurden wir mit vielen verschiedenen Grußformen der Welt konfrontiert – vom Knicks bis zum Schulterrempeln. Letzteres vermittelt Wiedersehens-Freude, das spaßhafte Aneinanderklatschen der hocherhobenen Hände vieler Jugendlichen Einverständnis, der Knicks Demut (oder Unterwerfung), die gefalteten Hände des Namasté Dienstbereitschaft etc. – und die rechte Hand der Moslems am Herzen Ehrfurcht. Ist das nicht wertschätzender als das Zusammendrücken der Finger?
Ich meine: Es gibt so viele Grußformen – und als EuropäerInnen oder gar WeltbürgerInnen sollten wir andere nicht zwingen, nach „unserer Art“ (die ein in der Kindheit erzwungener Gehorsam ist) Hand-Schläge zu dulden, weil das ein Training in Unterwerfung darstellt – ebenso wie die kommentarlose (!) Verweigerung der friedlichen Handreichung. Mir hat die ehemalige Leiterin des Instituts für Tiefenpsychologie und Psychotherapie an der medizinischen Universität Wien, die Psychoanalytikerin Marianne Springer-Kremser, zwei Mal im Kreise von Kollegen demonstrativ die Hand verweigert (nämlich hinter dem Rücken versteckt), als ich alle der Reihe nach begrüßte. Die Männer waren jedes Mal über diesen Affront entsetzt – ich nicht. So kann man eben auch ausdrücken, dass man jemand nicht mag (obwohl Nachbearbeitung in der Supervision wohl sinnvoller wäre) – dann weiß man es wenigstens genau (vorher „ahnt“ man es nur).
Es geht also darum, selbst zu wissen, warum man etwas tut oder nicht – und das den anderen respektvoll zu erklären.
Sich vertragen, heißt Verträge schließen. Auch über Benimmregeln.