Wer die Medienberichterstattung der letzten Tage verfolgt hat, wird vermutlich kaum bemängelt haben, dass nur oppositionelle Kritik (auch von den sogenannten Experten, die in der Task Force Strafrecht des BMI mitgearbeitet und dort Gelegenheit genug dazu gehabt haben) veröffentlicht wurde – aber keine Alternativen oder zumindest Erklärungen der konkreten Ziele dieser Verschärfungen. Stattdessen wurde Generalprävention (Abschreckung potenzieller Täter) und Spezialprävention („Besserung“ bereits manifester Täter) angeführt und dass es dazu keine Strafverschärfungen brauche.

Der Ansicht bin ich nicht: Wie ich schon mehrfach betont habe, gibt das Strafrecht nicht allein Anleitung für Urteilsfindungen, sondern macht deutlich, was wir, die Gesellschaft wollen bzw. nicht wollen UND was wir für leichte oder schwere Straftaten halten. Mit der Behauptung – vor allem von Personen, die nicht der gegenwärtigen „Ozean-Regierung“ (türkis-blau!) zuzurechnen sind sondern der Opposition – es brauche keine strengeren Strafen, werden sexualisierte Gewalttaten – das sind (laut dem Profiler Thomas Müller) solche, die mit oder an Genitalien verübt werden – in ihrer Schwere verharmlost.

Früher – zu der Zeit, als ich mein Jusstudium absolvierte (1962–1966) – waren diese Gewalttaten als „Verbrechen gegen die Sittlichkeit“ als „un-anständig“ klassifiziert. Engagierten Frauenrechtlerinnen gelang es, diese unpassende Benennung gegen „Strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung“ auszuwechseln – aber auch diese Bezeichnung ist unpassend, denn es handelt sich bei all diesen Delikten um schwerste Gesundheitsschädigungen: Sie gehörten im Strafgesetzbuch in den Abschnitt zu den Straftaten gegen Leib und Leben und dementsprechend sollten die Strafen angepasst werden!

Ich vermute, dass noch niemand von den zitierten ExpertInnen selbst vergewaltigt wurde oder bei nahen Anverwandten die Folgen miterlebt hat – wenn aber doch, dass er oder sie es nie zugeben würde, denn diese „Beschädigung“ (bei allen Betroffenen!) löst noch immer Scham aus – denn noch immer wird den Opfern Mitschuld oder Rache, oder, wie die #me too-Debatte gezeigt hat, Aufmerksamkeitssucht oder Geldgier unterstellt. Dass Strafverteidiger auch mit derartigen Untergriffen versuchen, ihre Mandanten straffrei zu bekommen, ist zwar nicht gerade hoch ethisch, sondern Gewohnheit gleich einem Foul beim Fußballspiel – nur dass die Teammitglieder sich dort bewusst und freiwillig ins „Feld“ begeben. Dank der bildgebenden Verfahren in der Gehirnforschung können aber heute sogar die bleibenden Schäden von Gewalterfahrungen sichtbar gemacht werden – nicht nur die körperlichen. Wesentlich sind jedoch die posttraumatischen Folgen: Flash Backs, Schlafstörungen und Albträume, ungewolltes Vermeidungsverhalten (auch über psychosomatische Symptome) und Ängste, Beziehungsstörungen, fixierte genitale Schockstarre wie auch unzulängliche „Selbstheilungsversuche“ mittels Drogen (vor allem Alkohol und Medikamenten).

Es weiß wohl jedermensch, dass Strafdrohungen Verbrechen und Vergehen nicht verhindern können – Täter und Täterinnen denken entweder nicht mit, was sie gerade tun oder halten sich – durch Freunde inkl. Anwälten und die öffentliche Meinung – für so abgesichert, dass ihnen „eh nix passieren“ wird.

Damit kein Missverständnis entstehen möge: Sekundäre Gewaltprävention (Opferschutz) und tertiäre (Täterarbeit) sind wichtig und gehören institutionalisiert – als Beweis, dass wir, die Gesellschaft, dazu stehen und die Mitarbeiterschaft dort nicht jährlich um die Bezahlung ihrer Tätigkeit bangen müssen.

Aber primäre – die einzig echte! – Gewaltprävention besteht in achtsamem Misstrauen und Selbstschutz und damit Wissen und Erkennen, wie sich Gewalttaten aufbauen – bei anderen wie auch bei sich selbst und Einüben von deeskalierendem Abwehrverhalten. Das gehört schon von klein auf erklärt, daher den Eltern und Pädagogen inhaltlich wie methodisch vermittelt – vor allem aber auch nach Gewalttaten in Filmen als Unterbrecher eingebaut (wenn dies als Werbung für Produkte zumutbar erscheint, umso mehr als Propaganda für gesetzestreues Verhalten!).