Soeben hat mich eine entsetzte Kultur-Expertin kontaktiert und mir das Festwochen-Plakat zu „Madame Butterfly“ gemailt – und ich bin jetzt ebenso entsetzt: Noch geschmackloser geht es wohl nicht.
Bekanntlich handelt Puccinis tragische Oper von der sexuellen Ausbeutung einer Japanerin durch einen verantwortungsscheuen amerikanischen Soldaten, der sie mit ihrem Kind im Stich lässt, heimgekehrt eine Amerikanerin heiratet und dann zurückkommt, um „seinen“ Sohn nach Amerika zu holen. (Auch das überlässt er feig seiner Ehefrau.) Butterfly suizidiert sich darauf mit dem Dolch ihres Vaters nach dem Ehrencode der Samurais: Sie begeht Harakiri – sie schlitzt sich den Bauch auf (und dabei fällt man normalerweise nach vorne).
Auf dem Plakat sieht man hingegen ein auf dem Rücken mit geöffneten blutbeschmierten Beinen hingestreckt liegendes Mädchen mit geschlossenen Augen – ob sie lebt oder tot ist, bleibt unklar, aber: Was suggeriert wird, ist, noch dazu ästhetisiert, der Zustand nach einer brutalen Vergewaltigung.
In einer Ausstellung in geschlossenen Räumen oder in einem Kunstbuch würde mich diese Darstellung nicht entsetzen – aber im öffentlichen Raum auf Plakaten?
Satako Ichihara ist auf dem Plakat ausgewiesen – vermutlich die verantwortliche Künstlerpersönlichkeit. Dass in Japan sadomasochistische Sujets in Literatur und bildender Kunst nicht ausgegrenzt werden, kann als bekannt vorausgesetzt werden – und sein Frauenrollenbild auch. Aber man muss es nicht kommentarlos importieren.
Dass Werbung gerne provoziert, Hauptsache Aufmerksamkeit erregen, und Geschmacklosigkeit mit in Kauf nimmt, ist zumindest kulturkritischen Expert:innen bekannt, wenn auch nicht immer akzeptabel. Und wie sieht das die Wiener Kulturstadträtin? Und die Frauenstadträtin???
Aus der Gehirnforschung ist schon lange bekannt – und seit den computergestützten Forschungsergebnissen seit dem Jahrtausendwechsel sogar bildhaft nachweisbar – dass „Gesehenes“ als Möglichkeit oder auch „Normalität“ neuronal eingespeichert wird – und das umso intensiver, je stärkere Emotionen das Geschaute auslöst.
Eine Schulung der Politiker:innen in Gewaltprävention wäre hier dringend notwendig – nicht aus moralischen, d. h. konventionellen, Gründen oder ethischen, d. h. solchen der eigenen Gewissensverantwortlichkeit, sondern aus psychohygienischen: Auch nur flüchtig wahrgenommene Bilder „machen etwas“ mit den Betrachtenden – entweder gefallen sie und werden daher nicht weiter auf ihre Wirkungen überprüft, oder sie missfallen, und dahinter steckt entweder „So fühlt man Absicht und man ist verstimmt“ (J. W. v. Goethe, Torquato Tasso) oder die – wie die Tagesberichterstattungen aufzeigen: mehr als berechtigte! – Angst der Frauen vor Männergewalt. Männer haben die erst, wenn ihre Töchter „mannbar“ – schreckliches Wort! – geworden sind – und auch nicht alle, wie die justizbekannten Fälle bewiesen haben.