1928 stand der avantgardistische Architekt Adolf Loos (1870–1933) vor Gericht: Der angeklagte Strafrechtstatbestand umfasst den Vorwurf, er habe zwei (und noch weitere) Mädchen im Alter von 8–10 Jahren sexuell missbraucht (entkleidet, „gebadet“, in pornographischen Posen fotografiert, an den Genitalien massiert und geleckt; s. Christopher Long, „Der Fall Loos“ (Amalthea 2015) bzw. Affäre: Neue Details zum Pädophilieprozess um Adolf Loos | profil.at).
Der nicht nur wegen seiner puristischen Bauten sondern auch wegen seiner dandyhaften Kleidung berühmt gewordene Bau- und Einrichtungs-Schöpfer argumentierte in der Folge, er hätte die Mädchen nur zum Modell-stehen bezahlt, zu den „unsittlichen“ Berührungen sei es „unabsichtlich“ gekommen, weil er die Mädchen zu „Tanzposen“ angeleitet habe. Vermittelt hatte ihm die Kinder ein pensionierter Postunterbeamter, der in der Akademie der bildenden Künste sein schmales Einkommen als Modell aufbesserte und von Loos gefragt worden war, ob er nicht Mädchen dieses Alters kenne – nicht die Modell-Börse der Akademie (S. 80). Die bei ihm gefundenen Porno-Bilder wollte Loos aus dem Nachlass eines verstorbenen Literaten als „Geschenk“ bekommen haben. Dass dies Peter Altenberg gewesen sein könnte, wie medial vermutet wurde, bestritt Loos vehement – obwohl der 1915 schrieb „Eine Frau ist immer zu alt, aber nie zu jung! Das Gesetz schreibt uns vor: von vierzehn an! Aber das Gesetz ist nicht von Künstlern entworfen. Unser Geschmack sagt: In jedem Alter, wenn du nur sehr schön bist!“ (S. 85).
Diese Sätze erinnern an den „Schreibtischtäter“ Ernest Borneman (der „leidenschaftlich“ für das „Recht von Kindern für Geschlechtsverkehr mit Erwachsenen“ plädierte und mich durch alle Instanzen wegen Kreditschädigung klagte, als ich ihn deswegen heftig kritisierte, nachzulesen in meinem Buch „Tabuthema kindliche Erotik“, LIT 2014) oder Otto Mühl, der vor Gericht angab, sich den Mädchen in seiner Kommune ohnedies erst sexuell genähert zu haben, wenn sie „reif“ waren, was er daran fest machte, dass sie bereits menstruierten.
Loos war in seiner Vernehmung nicht kooperativ – bestand sogar darauf, nur mit dem Polizeipräsidenten (dem späteren Bundeskanzler Schober!) persönlich zu sprechen (S. 17). Offenbar rechnete er – so wie die zwei von mir vergleichsweise zitierten Künstler (Literat und Maler) – mit einem Prominentenbonus gegenüber Kindern der Unterschicht (und ihren Müttern), von denen viele damals der Prostitution preisgegeben wurden, heißt nicht, dass es das heute nicht mehr gibt (Wien Stuwerviertel: Der Kinderstrich ist zurück. | Ware Mensch (ware-mensch.at)).
Sollen diese „Miss-Handlungen“ Anlass sein, sich nachträglich von Loos abzuwenden, wurde ich von einem Journalisten gefragt. Nein, lautet meine Antwort – der „Schatten“ gehört zu „Lichtgestalten“ dazu, und heute haben wir viel mehr Wissen und auch Methoden, dieses „Dunkelfeld“ wie auch die Schattenseiten (positiv wie negativ) hervorragender Persönlichkeiten zu behandeln. Aber deren Rechtfertigungstaktiken gehören enttarnt. Kunst – vom Wortstamm „können“ – besteht aus Phantasien und Visionen, und die „Performance“ hat ihre Grenzen im Missbrauch von Menschen, daher im Strafgesetz, und das hat seine Grenzen im Kontext von Zeit und Raum und – diskursiv kontrollierender Gemeinschaft.
Für mich, sowohl als Juristin als auch Psychoanalytikerin, liegt die Grenze dort, wo die Gesundheit von Menschen geschädigt wird – und hier liegt noch ein großes Lernfeld vor der sozialen Gemeinschaft (sogenannte Expertenschaften mitgemeint).