Herbert Lackner hat eine beeindruckende Trilogie verfasst: „Die Flucht der Dichter und Denker – Wie Europas Künstler und Wissenschaftler den Nazis entkamen“, „Als die Nacht sich senkte – Europas Dichter und Denker zwischen den Kriegen – am Vorabend von Faschismus und NS-Barbarei“ und „Rückkehr in die fremde Heimat – Die vertriebenen Dichter und Denker und die ernüchternde Nachkriegs-Wirklichkeit“, alle im Verlag Ueberreuter.
Jetzt habe ich nach dem mittleren Band endlich auch den ersten und dritten gelesen … und war erschüttert, wie Lackner das Desinteresse, um nicht zu sagen die Ressentiments dokumentiert, mit denen die Nachkriegs-Führungskräfte der SPÖ verhinderten, dass ihre geflüchteten Vorgänger, die eigentlichen Pioniere, wieder Funktionen in der Partei übernehmen „durften“.
Funktionen haben ja immer auch etwas mit „funktionieren“ zu tun – und wenn man befürchtet, dass jemand mehr Anerkennung für sein oder gar ihr Funktionieren erhält, folgt Abwehr. Mein Vater (1907–1969) zitierte oft den Ausspruch eines seinerzeitigen Prominenten – leider weiß ich den Namen nicht mehr – der quasi warnend gesagt habe: „Er muss ein Jude sein – woher hätte er sonst diese verdächtige Intelligenz?“ Ja, der Selbstvergleich und folglich Konkurrenz ist die Wurzel der Gewalt.
Lackner verweist aber auch auf eine andere Reaktion, die auch derzeit wieder bemerkbar wird: Den Vorwurf an die Menschen, die um ihr Leben zu retten ins Ausland flüchteten, sie hätten „mutig“ in ihrer Heimat Widerstand leisten sollen. Wie wenn es nicht genug Mut bräuchte, die Erkenntnis der Lebensgefahr auszuhalten – und ebenso den Aufbruch in eine ungewisse Ferne und Zukunft.
Es ist so leicht, vom Muppetbalkon oder der warmen Potatoe-Couch aus die zu kritisieren, die der sozialen und letztlich physischen Vernichtung entgehen wollten oder auf Drängen von Freunden ihre Überlebenshoffnungen aufgeben mussten, oft in letzter Minute wie etwa Sigmund Freud.
Was aber in Lackners Büchern besonders hervorsticht, sind die Berichte über die – teilweise sogar durch ausländische Regierungen – organisierte Unterstützung der Flucht durch bereits früher emigrierten Landsleute. Genau dies hier zu organisieren (und dabei auch allfällige Konkurrenzängste unter Landsleuten zu bearbeiten) wäre wohl eine wesentliche Aufgabe für die Institutionen und Personen, die für „Hilfe vor Ort“ plädieren – so fängt diese nämlich an (wenn man bereit ist, aus der Geschichte zu lernen).
Und zur Ergänzung: Menschenrechte gelten nicht nur für Dichter und Denker!