Ab Herbst 2020 – also, oh Wunder: mitten im Wiener Landtagswahlkampf – werden Eltern von 17.000 Kinder an 63 Ganztags-Schulstandorten keinen Essensbeitrag mehr zahlen müssen, lese ich in den Salzburger Nachrichten vom 20. Februar 2020, Seite 2. Und: In den Gratiskindergärten aber schon. Frage: Warum eigentlich der Unterschied? Worauf gründet er sich? Und laut Wiener Zeitung (https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/politik/wien/2050837-Buergermeister-Ludwig-kuendigt-gratis-Ganztagsschulen-an.html) würden sich die Eltern dadurch 200,– bis 250,– € pro Monat ersparen.
Gemäß Bürgermeister Ludwig geht es um „Mittelstandsförderung“, lese ich weiter. Frage: Wie definiert er bzw. seine Beamtenschaft Mittelstand? Wirtschaftswissenschaftlich teilt man grob in drei Gesellschaftsschichten (hab ich 1971, als ich noch postgradual Soziologie studierte bevor ich schwanger wurde, gehört) und die jeweils wieder zwei Mal: untere Unterschicht, obere Unterschicht, untere Mittelschicht, obere Mittelschicht, untere Oberschicht, obere Oberschicht. Demnach wären vor allem die Unterschichten zu fördern … denn die Mittelschicht sind wir.
Bei Bert Brecht singt der Bettlerkönig Peachum in der „Dreigroschen Oper“: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“ und weiter „Erst wenn es möglich ist, auch armen Leuten, vom großen Kuchen auch ihr Teil zu geben …“ Aber was heißt „arm“? Arm an Einkommen, arm an Existenzsicherung (beides ist nicht dasselbe!) – oder arm an Bildung (die Voraussetzung ist, dass man seine Lebenslage zu verbessern weiß)? Und wofür ist Schule zuständig – und wofür das Sozialamt?
Das sei kein „Wahlzuckerl“ beteuerte laut Artikel Bürgermeister Ludwig – und assoziiert mit diesem Wort zu etwas Essbaren … und wer isst, macht den Mund nicht laut auf. Sollte er oder sie aber: Die geschätzten Kosten dieses „Geschenks“ von 25 Millionen jährlich entsprechen Kosten für ca. 50 Lehrkräfte (bei angenommenen € 55.000,- pro Lehrkraft pro Jahr inkl. Arbeitgeberabgaben). Und damit wäre Angehörigen aus bildungsarmen Schichten vermutlich mehr gedient … vorausgesetzt, der Schulunterricht wird der heutigen Realität angepasst, in der jede Lehrkraft sich in Konkurrenz zu irgendwelchen virtuellen Helden (überwiegend männlich) bewähren – eigentlich beWEHRen – muss.
Aber solange nur Deskworker und Unternehmensberater als – anerkennenswerterweise idealistische – Bildungsexperten das große Wort führen (dürfen) und nicht die reformpädagogisch beseelten Fieldworker in Schulpraxis und Supervision, ist es kein Wunder, wenn auch die Spindoktoren der Politik mit Jubelmeldungen (z. B. dass sich die Englischkenntnisse österreichischer Schüler verbessert hätten … aber kein Wort über die Deutsch-Kenntnisse!) von den echten Herausforderungen abzulenken versuchen.