Da lese ich doch heute auf https://orf.at/stories/3113790/ eine demonstrative Zusammenfassung der Argumente, die immer wieder gegen gendergerechte Sprachformen aufs Tapet gebracht werden – so wie wir wohl alle in der Volksschule das „generische“ – ich würde fast scherzen, das „genärrische“ – Maskulinum eingetrichtert bekommen haben. Ich kann mich noch gut erinnern, dass einige schlaue Mädchen sich damals wunderten, wieso Frauen bei Männern immer „mitgemeint“ sein sollten. Damals, 1950–1953, gab es in Laa an der Thaya noch keine Koedukation, sehr wohl aber in der Übungsvolksschule in Wr. Neustadt, wohin wir zu Allheiligen übersiedelten, nachdem mein Vater dort Gymnasialdirektor geworden war.
Später im Gymnasium lernten wir dann auch die Lautverschiebungen – wie sich die deutsche Sprache vom Althochdeutschen zum Mittelhochdeutschen entwickelt hatte. Dass es das Verdienst Martin Luthers war, durch seine Bibelübersetzung während seiner Haft auf der Wartburg die Einigung der vielen deutschen Dialekte bewirkt zu haben, hörten wir nicht. Das erfuhr ich erst im Studium der evangelischen Theologie. Zwecks Nachvollziehbarkeit einige Erinnerungen: Damals in den 1950er Jahren wurde unser einziger evangelischer Mitschüler noch vor der ganzen Klasse von manchen Professoren verächtlich als Ketzer apostrophiert, und ich, die von meinen konfessionslosen Eltern immer vom Religionsunterricht abgemeldet worden war (ich war, während mein Vater in Kriegsgefangenschaft war, auf Druck der frommen Großmütter gegen dessen Willen getauft worden, nachzulesen in meinem Buch „Als Pfarrerlehrling in Mistelbach“), wurde mit dem Ruf „Heu, du hast a Sünd!“ von meinen Volksschulkolleginnen verunsichert, wenn ich genauso wie sie auch den gemeinsamen Ball an die schmucklose Kirchenmauer werfen wollte.
Im Gymnasium lernten wir auch Sprachen zu vergleichen, gemeinsame Sprachwurzeln zu entdecken und dichterische Sprachfeinheiten und -freiheiten zu respektieren. Respekt gegenüber Frauen lernten wir nicht – es war kein Thema, es hatte sich ohnedies kaum eine getraut, gegen Diskriminierungen zu protestieren, und wenn, war es erfolglos. (Ich beispielsweise hatte mich beim Klassenvorstand beschwert, dass mich der Psychologieprofessor in einer Stunde – aus meiner Sicht „ohne Grund“ – aus der Klasse gewiesen hatte. Später erfuhr ich, dass er in dieser Stunde über ein Palmers-Plakat zur Strumpfwerbung gesprochen hatte, auf dem man nur – gezeichnete – Frauenbeine vom Knie abwärts sah; er hatte die Mitschüler – ich war ja das einzige Mädchen (und hatte Dispens gebraucht, um in die Knabenschule gehen zu können) – darauf hingewiesen, wie hier der männliche Geschlechtstrieb angesprochen würde … dass er sich das getraut hat, sehe ich rückblickend zwar als wagemutig (die sexuelle Revolution der 1968er Jahre war ja noch weit weg), aber mir hätte diese Information auch nicht geschadet.
Ich war ein Eindringling in die Männerwelt.
Später im Jusstudium noch einmal, und dann erneut in der Politik. Auch diese beiden Bereiche zeichnen sich durch besondere Sprachformen aus. Aber kaum jemand regt sich über die Unverständlichkeit der Juristensprache auf – oder über den „Neusprech“ (Zitat George Orwell „1984“) mancher Politiker. Nur wenn frau versucht, ihren Platz im der Männer begünstigenden Sprache einzufordern, steigt die Erregung.
Bei einer Diskussionsveranstaltung in den späten 1980er Jahren, als es um die Gesetzwerdung von Berufsregelungen für PsychologInnen und PsychotherapeutInnen ging, traten im Hörsaal an der Uni Wien auch Erziehungswissenschaftlerinnen (quasi als Angehörige eines Geschwisterberufs) ans Rednerpult und referierten ihre Expertisen unter Verwendung von ausschließlich weiblichen Sprachformen (was sie vorher angekündigt hatten). Die folgende Unruhe war riesig: Mussten wir doch alle plötzlich die Ungerechtigkeit erkennen, wenn nur ein Sprachgeschlecht verwendet wird.
Den Kolleginnen ist nachträglich sehr zu danken – nicht nur für ihre eminente Konzentrationsleistung, sondern für ihr Eindringen in den bis dahin „geschlossenen verbalen Männerklub“: Es wirkte „eindringlich“. Und das war notwendig.