Sie wollten wohl ihre Bindung zum Heimatland nicht so leicht aufgeben, mutmaßt der Wiener Politologe Cengiz Günay im Kurier vom 5. März auf die Frage, weshalb eingebürgerte Türken das Risiko eingingen, die österreichische Staatsbürgerschaft im Falle des Wiedererwerbs der türkischen zu verlieren. Und er fände das österreichische Verbot „idiotisch“, denn „es sei eine Illusion, dass man Identität einfach wie ein Kleidungsstück abstreifen“ könne.
Doch, man kann. Das erweist sich bei den IS-Kämpfern wie schon immer bei ideologisch (bzw. religiös) radikalisierten Menschen und allen, die sich ihnen anpassten.
Traditionell gab es immer Einweihungsfeiern, um die Übernahme einer neuen Identität zu zelebrieren und damit demonstrativ in wie außerhalb der Gruppe zu verankern, und meist wurde ein neuer Name „verliehen“. Deswegen war es ja Frauenpolitikerinnen des vorigen Jahrhunderts so wichtig, dass Frauen bei der Eheschließung ihren Geburtsnamen behalten durften (und umgekehrt Männer egal aus welchen – z. B. taktischen – Gründen auch den Namen ihrer Ehefrau annehmen).
Tiefenpsychologisch entschlüsselt, zeigt sich: Man schlüpft freudig in eine neue Identität, wenn mit dieser Vorteile verbunden sind – vor allem mehr Ansehen. Wenn es also eine Illusion gibt, dann die, durch Zugehörigkeit zu einer zumindest scheinbar dominanten Gruppe Macht zu gewinnen, und mit diesem Versprechen zumindest von Prestige (Heldentum oder auch „nur“ der Normalität dieser „Auserwählten“) werden ja auch Anhänger „rekrutiert“. Das entspricht dem militärischen Hierarchiedenken, und das verführt noch immer nach dem Motto „Angst vor Strafe, Hoffnung auf Belohnung“, auch wenn die Strafe nur in Bedeutungslosigkeit besteht.
Identität entwickelt sich in Phasen, oft in dialektischen Gegensätzen. Individuation heißt das in der Sprache der analytischen Psychologie und die besteht in Schattenintegration, Selbsterkenntnis, Selbstgenügsamkeit: wissen, wer und was man ist und was nicht. Sich selbst gehören und nicht „Gott, Kaiser und Tribun“ anzuhängen in der Illusion, dass man dann „wer ist“.
Identität hat aber auch nichts damit zu tun, als wer oder was man „identifiziert“ wird. Solche „Einteilungen“ dienen nur einer Buchhaltung der Entpersönlichung: Gelber Stern, rosa Winkel, schwarzer Winkel … es ist nur die Frage, ob man solche „Ausweise“ – Etikettierungen – als Büchlein bei sich trägt, auf der Kleidung oder auf der Haut. Aber zu wissen, welche Wurzeln man hat, und wie man sich entwickelt hat und wohin man sich entfalten will – zu welcher Werthaltung – das trägt zum Selbst-Bewusstsein und geistig-seelischem Wachstum bei.