Kommenden Sonntag wird in Niederösterreich ein neuer Landtag gewählt und daher habe ich mir die Biographien der Spitzenkandidat:innen auf Wikipedia angesehen, besonders die der beiden Herren, die Landeshauptmann werden wollen. Zu Franz Schnabl sage ich nichts, da bin ich aus persönlichen Negativerfahrungen befangen. Aber wäre Mag. Karin Renner 2017 zur niederösterreichischen SPÖ-Vorsitzenden gewählt worden, wäre ich nicht aus „meiner“ Partei – 10 Tage vor meinem 50jährigen Mitgliedschaftsjubiläum – ausgetreten.
Seit Jahren bewerte ich den beobachtbaren Permanentwahlkampf der persönlichen Diffamierungen als gewalttätig und gesundheitsschädlich, auch wenn ich ihn als Versuch verstehen kann, die mangelnden Konzepte zur Lösung der umfassenden ökonomischen wie auch sozialen Probleme durch aggressive Öffentlichkeitsarbeit zu kompensieren. Ich war 15 Jahre Mandatarin meiner Partei (und 1994 nach dem Rücktritt von Michael Ausserwinkler sogar telefonisch als Gesundheitsministerin angefragt, und habe sofort abgelehnt, weil ich mich nicht untergriffiger Kritik aussetzen wollte – ich helfe lieber anderen bei der Abwehr) und unser Stil damals war so etwas nicht, der war eher „heiter“ (vor allem dank dem damaligen Vorsitzenden der Wiener Jungen Generation, dem späteren auch in diesem Amte humorvollen Finanzminister Rudi Edlinger).
Heute orte ich in den Versuchen mancher Parteivorsitzenden, die Lacher auf ihre Seite zu ziehen, unverhohlenen Vernichtungswillen statt sportlichem Wettbewerb. Wenn etwa FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz den Namen der Landeshauptfrau Mikl-Leitner mit dem Wort „entsorgen“ verbindet –ist das wohltrainiertes NLP: Man benützt Eigenschaftsworte oder Namen, um geistige Bilder zu zeichnen (z. B. indem man den durchaus ausreichenden Begriff „Korruptionsausschuss“ immer mit dem Namen einer einzigen Partei verbindet, und damit auf Vergesslichkeit vertraut, dass die nötigen Nachprüfungen entstanden sind, weil ein Parteiobmann einer anderen Partei sich in – nach eigenen Angaben – drogenbelastetem Zustand – denn Alkohol ist ja auch eine Droge – als Geheimnisträger Erster Klasse wichtig gemacht hat.) Der Linzer Volkswirtschaftsprofessor und NLP-Master Walter Ötsch hat einige dieser „Techniken“ in seinem Buch „Haider light – Handbuch für Demagogie“ enttarnt – und auch mit der gezielten Sprache des Dritten Reichs verglichen, in der Menschen, die man vernichten wollte, mit Ungeziefer gleichgesetzt wurden). Oder wenn Udo Landbauer, selbst mütterlicherseits Halb-Iraner, was man ihm ja auch ansieht, Mikl-Leitner als „Moslem-Mama“ bezeichnet (Udo Landbauer – Wikipedia), so stört mich das als väterlicherseits Halb-Tschechin. Ich möchte nicht, dass Menschen ihrer Herkunft oder Religion gemäß der Verachtung preisgegeben werden (was ja auch unsere Bundesverfassung wie auch die Europäische Menschenrechtscharta verbietet, aber letztere hält Landbauer ja nur für „schwammig“ s. Kurier vom 25.01.2023, Seite 5) und verzichte bewusst auf solche Sprach-Machtspiele (wobei ich solche Impulse gelegentlich auch bei mir feststelle, wenn ich jemand – noch – nicht mag.)
Vor allem aber finde ich es ganz arg, wenn Personen an der Spitze der Verwaltung (Minister:innen oder Landesrät:innen, aber auch Leitenden großer Institutionen) unterstellt wird, sie würden wie Papa oder Mama allein jegliches Haushaltsbudget „ausgeben“ – so wie Indira Collini, Listenführerin der NEOS, im Standard-Interview (24.01.2023, Seite 6) den uralten Oppositionsvorwurf wiederholt, „Wolfgang Sobotka hat als Landesrat in Niederösterreich 2,3 Milliarden Euro an Wohnbaugeldern verspekuliert“. Niemand fällt die innewohnende Absurdität auf – man braucht ja nur konkret nachtzudenken: Wie hat er das denn gemacht? Im Casino? Im Internet? Solche Vorwürfe treffen in Wirklichkeit die jeweilige bemühte Beamtenschaft, und ich weiß aus meiner jahrzehntelangen Coachingstätigkeit für eben diese, wie sehr das deren Gesundheit schädigt, denn die sind es ja, die sich dann meist zu Recht betroffen fühlen, wenn ihre „gut gemeinte“ (was bekanntlich im Nachhinein gelegentlich das Gegenteil bedeutet) Arbeit schlecht gemacht wird. Hier zeigt sich dringender Informationsbedarf, wie Verwaltung funktioniert (und das gehört auch zur Transparenz). Wo bleibt der Bildungsauftrag vom oder besser: an den ORF?
Für mich ist das alles dirty campaigning. Ich zitiere aus Wikipedia:
Negative Campaigning (in Österreich „Schmutzkübelkampagnen“ genannt) bezeichnet eine Form von Werbung oder insbesondere politischer Öffentlichkeitsarbeit, bei der versucht wird, den (politischen) Gegner bzw. Konkurrent in ein schlechteres Licht zu rücken, um damit das eigene Ansehen zu erhöhen. Dabei werden insbesondere private, aber auch öffentliche oder geschäftliche Verfehlungen instrumentalisiert, um die betreffende Person, Partei, oder Organisation gezielt zu skandalisieren. Charakterisierend für Negative Campaigning ist vor allem, dass es sich sachlichen Argumenten zu entziehen versucht und stattdessen die persönliche Auseinandersetzung in den Vordergrund stellt. Diese Art des „schmutzigen“ Wahlkampfes ist vor allem in den Vereinigten Staaten verbreitet, während es in Europa verpönt ist und deshalb nur selten angewandt wird. (Abgerufen am 27.01.2023)
Was oben auf der Kabarett-Bühne als verbale „Wild West Manier“ noch witzig sein mag, vergiftet das Publikum (zu Deutsch: die Öffentlichkeit) „im Parkett“ und „draußen“ die zwischenmenschliche Atmosphäre und wird leider im Beruflichen wie Privaten nachgeahmt, wenn man Sieger sein will – ohne zu bedenken: „Wenn man den Teufel an die Wand malt, ist er da.“