In den letzten Tagen ist mir aufgefallen, dass Mails von mir, in denen ich nicht einmal kritisiert sondern nur geschrieben habe, dass Vorschläge von mir an TopmanagerInnen – die mich um derartige gebeten hatten oder von ihren Vorgesetzten dazu beauftragt worden waren – über längere Zeit nicht berücksichtigt wurden. Das zu sagen, finde ich OK – es entspricht den Tatsachen und ist keiner besonderen Reaktion bedürftig. Dennoch haben sich die Adressatinnen jeweils bemüßigt gefühlt, sofort zu beteuern „Da muss ich meine Vorgesetzte in Schutz nehmen …“ Sehr ritterlich von den jeweiligen Damen – aber in Schutz nimmt man doch eher, wenn man „Ritter“ ist und nicht „Knappe“?

Im Versuch des Einfühlens in diese Reaktion spüre ich Misstrauen und Vorsicht – und dennoch bleibt mir die Reaktion unverständlich. Üblicherweise projizieren Menschen ihre eigenen Eigenschaften auf andere, also beispielsweise eigene ungeäußerte Kritik oder Unzufriedenheit. Ich habe nicht nachgefragt, denn in Alltagssituationen darf ich ja nicht „psychoanalysieren“ oder „antherapieren“ … dazu braucht es einen Vertrag. „Arbeitsbündnis“ heißt das in der Psychotherapie. Ich darf nur „pädagogisieren“ – also etwas am Beispiel verdeutlichen.

Ich nehme also mich als Beispiel: Die „Schere im Kopf“ kenne ich auch – und auch Misstrauen und Vorsicht. Aber ich kann mich nicht erinnern, jemand „in Schutz genommen“ zu haben. Stattdessen kritisiere ich konkretes Verhalten, das ich nicht richtig finde, und überlege mir die Formulierungen genau. Gut, das habe ich gelernt, das ist Teil der von mir selbst entwickelten Methodik (die ich übrigens bald wieder unterrichten werde). Ich würde in solch einem Fall als erstes nachfragen, „Soll ich das als Kritik verstehen?“ Dann würde ich wahrheitsgemäß sagen „Kritik nein, Enttäuschung ja!“ Ich glaube nicht, dass sich nach dieser Klärung noch weiteres Festhalten an dem Thema ergeben würde.

Ich weiß, dass viele Menschen der Geburtsjahrgänge vor 1980 mit „Entschuldigungspflichten“ erzogen wurden und unbewusst alles vermeiden wollen, wofür sie sich womöglich irgendwann einmal rechtfertigen müssten.

Meinen KlientInnen sage ich immer: „Schuld“ gehört vor Gericht oder in den Beichtstuhl. Schuldgefühle gehören in die Psychotherapie – sie sind nämlich, grob gesprochen, unterdrückte Aggressionen, und die können krank machen. (Wie man ja vermutlich weiß, bin ich u. a. in all diesen drei Berufen ausgebildet, deswegen ist mir diese Unterscheidung auch so wichtig: Die eifernde Suche nach den „Schuldigen“ lenkt oft von den mitbeteiligten „Ursachen“ ab und verhindert Präventivmaßnahmen.) Keine Frage – was man verursacht hat, muss man wieder in Ordnung bringen – und dazu braucht es oft Kreativität – auch soziale Kreativität, man braucht ja akzeptierende Andere. Das sollte man von klein auf lernen – aber nicht Angst haben, denn Angst verhindert meist Kreativität.