Zuerst eine grundsätzliche Vorbemerkung: Ich finde, dass man Notrufnummern gar nicht oft genug ins Bewusstsein rufen kann – vor allem auch den Frauennotruf 0800 222 555. Egal in welche Stress-Situation eine Frau gekommen ist – allein Verständnis hilft ebenso, wie mit einer kompetenten Frau die nächsten Schritte abzuklären.
Was ich nicht so gut finde, sind die nunmehr in den Medien wiederholten Warnungen vor zunehmender häuslicher Gewalt bei verpflichtetem Verbleib in der Wohnung. Sprache hat Suggestivcharakter – und präventive Warnungen sind wie „den Teufel an die Wand malen“. Dann ist er nämlich da. In meinem Buch „Die Tao-Frau – Der weibliche Weg zur Karriere“ (C. H. Beck, München 1997 – noch erhältlich!) habe ich vorgeschlagen, statt dessen „einen Engel an die Wand zu malen“ und meine damit, sich selbst (aber auch anderen) konkrete Anleitungen für Krisensituationen zu geben.
Derzeit geben etliche PsychologInnen Tipps zur Frei-Zeit-Gestaltung unter beengten Lebensbedingungen: Ordnung machen, den Tag strukturieren, regelmäßige Telefonzeiten planen, Gymnastik betreiben, Filme anschauen (und bitte auch Bücher lesen!) … wie wenn man nicht ohnedies daheim Verabsäumtes und Liegengebliebenes nacharbeiten würde.
Was aber niemand sagt (bzw. erkennt), ist das Grundrezept: Wenn einem etwas zu „eng“, zu „dicht“ wird, braucht man „Abstand“. Dass man wegen der Ansteckungsgefahr räumliche Nähe in Distanz verwandeln soll, wäre logische Folge. Es gibt aber noch andere Dimensionen der Knappheit – die zeitliche. Beispielsweise dann, wenn Zeitperspektiven wegfallen wie jetzt, wo man noch wenig Erfahrung besitzt, wie lange die aktuelle Krisensituation und die damit verbundene Einschränkung gewohnter Lebensweisen dauern wird.
Dann hilft es, die fehlende Zeitperspektive mit einer anderen zu „überdecken“ (so wie man eine Videokassette überspielt): Man nimmt sich eine etwas länger dauernde Arbeit (und eine Nachfolgearbeit) vor, macht einen Etappen-Zeitplan und hält diesen ein – egal ob es das Legen einer täglichen Patience, das Zusammensetzen eines Puzzles, das Stricken einer Jacke, die Reparatur locker gewordener Sesselleisten oder das Ausmalen eines Zimmers ist oder gar das Schreiben eines Krisen-Tagebuches … wichtig ist nur, dass es am Schluss ein Erfolgserlebnis gibt (und umgekehrt keine Katastrophe bedeutet, wenn man den Plan vielleicht wieder fallen lässt) – und dass man nicht „hudelt“.
Dichtestress ist von beschleunigter Atmung begleitet. Die meisten Menschen merken das nicht, weil sie nicht gewohnt sind, auf sich selbst zu achten, leider. Auch Gewalthandlungen beginnen damit, dass eine Person ihre Atmung beschleunigt – was bedeutet, dass sich deren Körper kampfbereit macht. Aber nicht immer geht das so schnell (weil unerwartet), dass man keine Zeit hätte, mit Worten zu deeskalieren (z. B. „Oh – ich merke, dass du dich ärgerst – was konkret hättest du denn gern anders?“), und es müssen Worte des Respekts sein – keine Befehls- oder Schimpfworte, denn diese wären ebenso Kampfhandlungen – und es muss dabei verlangsamend geatmet werden, das gehört zum Aufbau der – noch nicht gegenwärtigen sondern in der Zukunft liegenden – Respektssituation dazu.