Der 29jährige dänische Spitzenfußballer Christian Eriksen ist während des Europa-Matches kollabiert – Ursachen noch unbekannt – aber bekannt ist, wie das Bemühen der Nothelfer „ausgesehen“ hat. Das wurde nämlich ausführlich im ORF gezeigt.

Seit ein, zwei Jahren wird die „Schaulust“ von Passanten kritisiert, die bei Autounfällen oder Zusammenbrüchen von Menschen auf offener Straße nur glotzen oder Selfies machen, die Einsatzkräfte behindern und auf Kritik nur „verlegen“ – ein behübschendes Eigenschaftswort! – lachen, dabei ist es eigentlich eine besondere Form der strafrechtlich relevanten „Unterlassung der Hilfeleistung“: § 95 StGB (Strafgesetzbuch), Unterlassung der Hilfeleistung – JUSLINE Österreich

Nun frage ich mich jedes Mal, wenn ich auf Facebook die selbstgemachten Dokumentationen fremder Unglücksfälle sehe: Liegen die Filmer auf der Lauer? Wieso helfen sie nicht anstatt zu filmen? Oder haben alle Überwachungskameras und delektieren sich an der Not anderer? Und warum stellen sie das dann öffentlich? Um andere einzuladen, genauso zynisch, grausam und menschenverachtend zu reagieren wie sie? Oder sind sie nur durch das ihnen selbst – vielleicht sogar von ihren Eltern oder Geschwistern – als „lustig, lustig“  angetane Leid abgestumpft?

Oder brauchen sie das „ich war dabei“-Triumphgefühl zum Füllen der Leere in ihrem ereignislosen Leben? Leben ist nie ereignislos – man muss nur stille halten und wahrnehmen und erlauben, sich rühren zu lassen!

Dass freiberufliche Reporter mitfilmen in der Hoffnung, ihre Produkte bestmöglich verkaufen zu können, verstehe ich – und die dahinter verborgene „Berufsdeformation“ auch. Was ich nicht verstehe, ist die mangelnde Einfühlung in die Scham jedes psychisch unversehrten Menschen, der nicht in Augenblicken der Lebensgefahr gefilmt werden will. Es können doch nicht so viele traumatisiert sein? Das ist schon bei Autorennen so, sobald der Pilot aus dem meist brennenden Fahrzeug geborgen wird – und wenn es um Dokumentation möglicher Unfallursachen geht, gehören solche Dokumente in die Hände der Polizei und nicht der Medien.

Aber möglicherweise sind wirklich so viel traumatisiert – vielleicht durch die frühzeitige Konfrontation mit solchen Bildern in jüngster Kindheit? Und haben sich in Herzlosigkeit geflüchtet, um nicht von Schmerz und Scham – eine Folge, wenn man als prüde oder feig verspottet wird – überflutet zu werden?

Oder ist Scham überhaupt schon obsolet geworden? So im Sinne von „Alles ist machbar, Frau Nachbar?“ („Grenzenlosigkeit“ ist übrigens ein Symptom der Borderline-Persönlichkeitsstörung.) Wollen wir das?

Großsportereignisse werden ja ausgiebig kommentiert – es wäre dringend an der Zeit, mit den Kommentatoren einen sensiblen Umgang mit schockierenden Ereignissen zu trainieren. Entspräche dem öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrag. Da könnte dann auch „so nebenbei“ gleich der Strafrechtsaspekt mit angesprochen werden.