Derzeit historisch hinten nach, titelt orf.online heute. Nach fünf Jahren: „MeToo“ erreicht auch Österreich [https://orf.at/stories/3272794/], in unbewusster – oder doch bewusster?, immerhin ging es da um den „heiligen“ ÖSV (Österreichischen Skiverband) – „Vergesslichkeit“ der mutigen Aufdeckungsarbeit von Nicola Werdenigg (die danach eine juristische und mediale Hexenjagd sondergleichen erlebte).
Aber ich glaube die Überschrift schon zu verstehen: Der Titel bezieht sich darauf, dass diesmal eine Schauspielerin und Regisseurin und noch dazu ganz konkret über zahllose erlebte sexuelle Zumutungen und Erpressungen das Wort ergriffen hat – und damit auch vielen Leidensgenossinnen „den Mund geöffnet“ hat.
Es ist erschreckend, dass im 3. Jahrtausend, gut 50 Jahre nach der großen Strafrechtsreform und Familienrechtsreform (an denen beiden ich als damals SPÖ-Mandatarin mitgearbeitet habe und diese Zeit des „Aufbruchs“ im wahrsten Sinn sehr vermisse), Partnerschaft – und die bedeutet immer Respekt und Solidarität im Verteidigen von Menschenwürde! – noch immer nicht dort angekommen ist, wo sie am dringendsten Not-wendig wäre: Bei Männern, die glauben, ihre sexuellen Phantasien in die Tat umsetzen zu müssen und zu dürfen.
Als ich mich in den zitierten 1970er Jahren (als „Alibifrau“ der Jungen Generation in der SPÖ) in einer Sitzung des Bundesfrauenkomitees mit der Anregung zu Wort meldete, man müsse etwas gegen die sexuellen Belästigungen von Frauen unternehmen und sollte daher Zahlen erheben, fuhr mir die Vorsitzende Hertha Firnberg (damals auch die erste Wissenschaftsministerin Österreich) mit den Worten über den Mund: „Das ist aber nur dein Problem!“
Ja, das war es, aber nicht nur. In meiner späteren Tätigkeit als Psychotherapeutin erfuhr ich dann vieles aus der Partei, aus dem Wiener Sport, aus der Staatsoper … oder auch aus Spitälern, Ministerien … und nicht nur von belästigenden Männern, sondern auch Frauen (und deshalb kündigenden Männern). Meine Schweigepflicht hat mich oft genug belastet. Auch in dem zitierten ORF-Artikel heißt es: „Namen werden jedoch nur hinter vorgehaltener Hand genannt.“ Wer sich der Macht gewiss ist, ist sich auch der anwaltlichen Unterstützung gegen angebliche Verleumdungen gewiss.
In dem zitierten ORF-Bericht erklärt Verena Altenburger: „Solange man weniger berühmt ist, ist man finanziell sehr viel abhängiger, man ist verletzlicher, jünger und unerfahrener und hat kein stabiles Netzwerk, und wenn man so schutzlos ist, passieren Übergriffe viel leichter.“ Vielleicht ist dies auch ein Grund, weswegen es viele Frauen in den freien Berufen ab 40 schwer haben, Aufträge zu bekommen, wenn sie keine „schützende Hand“ über sich haben – und diese sollte nicht nur eine und nicht nur männlich sein.
Als ich als junge Juristin in der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) arbeitete, rief mich einmal der Personalchef – SPÖ-Bezirksrat im 22. Bezirk – zu sich und erklärte mir „als Genosse“, er könne meiner Karriere sehr dienlich sein, er könne mich z. B. auf Dienstreisen mitnehmen, ich müsste „halt ein wenig lieb zu ihm sein“. Wie ich damals aus dem Zimmer gekommen bin, weiß ich nicht mehr, so verwirrt und betäubt war ich. Ich habe mich damals (auf Rat meines Ehemannes) an die Zentralsekretärin meiner Gewerkschaft gewendet – leider finde ich ihren Namen nicht im Internet – aber gemeldet hat sich dann ihr Stellvertreter. Der war, zumindest damals, sachlich und korrekt.
Die Problematik liegt – siehe die Verwendung des Wortes „genießen“ in den Berichten von Frau Mückstein – unter anderem in den (nicht nur religiösen!) Mythen rund um die angeblich sexbesessenen Frauen. Ein krasses Beispiel bietet derzeit die Neradin-Werbung im Fernsehen – noch dazu vor den Hauptabendnachrichten (wo bekanntlich auch Kinder zusehen) – in der zuerst ein Mann dem anderen dieses Präparat gegen Erektionsmangel empfiehlt, und danach eine „erleichterte“ Frau vor dem im Bett wartenden (!) passiven Mann sagt: „So macht Sex wieder Spaß mit ihm!“
Von Beziehung ist nirgendwo eine Rede. Dazu braucht man nämlich Einfühlung in den anderen – vorher.