Vergangene Woche beherrschte die Nachricht, dass sich ein hochangesehener Schauspieler wegen § 207a Strafgesetzbuch (Besitz von Darstellungen sexueller Gewalt an Kindern) vor Gericht werde verantworten müssen, die Medien.
Da ich diejenige bin, die als erste diese Strafbarkeit gefordert hat (nachzulesen in meinem Buch „Tabuthema kindlicher Erotik“, LIT Verlag, Berlin Münster Wien 2015) war ich als ehemalige Professorin für Sexualtherapie zu mehreren Interviews herausgefordert, schrieb auch einen Beitrag für DIE FURCHE und verfasse jetzt noch einen Beitrag für ein wissenschaftliches Fach-Magazin. Das nimmt unvorhergesehen Zeit in Anspruch – vor allem zum Nachdenken über die „Ethik des Kommentars“. Ich will nicht kommentieren – ich will mich nicht zu einer emotionalen Vorverurteilung verlocken lassen. Gewichten, werten und Urteil sprechen ist Aufgabe des Gerichts und dort soll dies auch bleiben. Die Volksbeteiligung an der Rechtsprechung ist erst ab Verbrechen vorgesehen. Die in § 207a inkriminierten Verhaltensweisen sind Vergehen – und das sollen sie auch bleiben. Durch Strafen lernt man nämlich nichts.
Es geht immer auch darum, Menschen mit Fehlverhalten nicht zu vernichten, sondern ihnen Möglichkeiten der Verhaltenskorrektur zu bieten oder auch zur Persönlichkeitsveränderung. Bereits Eberhard Schorsch (1935–1991), Direktor des Instituts für forensische Psychiatrie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, hat in seinem Buch „Kurzer Prozess?“ darauf hingewiesen, dass allein eine gerichtliche Begutachtung die Persönlichkeit von Delinquenten verändert: Es steht danach nicht mehr dieselbe Person vor Gericht als die, die straffällig geworden ist (was ihr ungerechterweise meist mehr schadet, weil die Verantwortlichkeit größer bemessen wird, z. B. wenn sie nicht mehr süchtig ist).
Mediale Shitstorms – ich nenne sie „verbale Lynchjustiz von Laien“ – entlasten nur diese Kommentator:innen von ihrer eigenen „Erregung“, und die sind auch – in dem Fall unreflektierte – „Kicks“ (Adrenalinstöße). Deswegen ist es so schwer, über solche Phänomene zu schreiben: Man braucht dazu Reflexion, Sachlichkeit, Vernunft – immerhin geht es ja auch um Prävention! – und genau daher muss man die (unvermeidlichen) eigenen Phantasien wahrnehmen und im Zaum halten.
Ich will aufklären. Es ist schwer genug zu unterscheiden, ob jemand süchtig geworden ist (auch Voyeurismus kann Suchtcharakter annehmen) oder eine Zwangsstörung „aufweist“ (ich bin vorsichtig mit dem Wort „leidet“ – denn viele Menschen wehren Leiden ab und behaupten, etwas „mache ihnen nichts aus“, z. B. Elternprügel, und, wie wissenschaftlich nachgewiesen wurde, geben sie die dann als „normal“ weiter) oder eine andere Prägung. Aber Prägungen kann man aufheben, „heilen“.
Wenn Psychiater:innen behaupten, Pädophilie wäre nicht „heilbar“, stimmt das nur für deren eigene Erfahrung (oder alte Lehrmeinungen). Es liegt an der Methodik – und ob die ratsuchende Person „sich“ wirklich „ändern“ will, nicht nur ihr Verhalten. Ich habe selbst in den 1980/90er Jahren, als ich noch in den beiden von mir mitbegründeten Wiener Sexualberatungsstellen mitarbeitete, eine relativ schnell wirksame Kombinationsmethode entwickelt, die nicht bloß auf Verhaltenskontrolle abzielt, sondern auf Aufhebung der Prägung, und mit ihr sehr gute Erfolge erzielt.
Man darf das Thema im Sinne von „Wer einen Hammer hat, sieht überall nur Nägel“ nicht nur aus einem medizinischen oder juristischen Blickwinkel ansehen – man braucht auch einen soziologischen und vor allem sozialtherapeutischen. Empörung, Verdammnis oder gar Versuche, Schadenersatzansprüche zu generieren, sind nicht hilfreich.
Hilfreich wäre hingegen, zu erkennen, dass das Handy-Filmen von Vergewaltigungen junger Mädchen – wie es in den letzten Jahren immer wieder geschehen ist – nach dem Wortlaut von § 207a (1, 1.) die „Herstellung“ von „pornographischer Darstellung einer minderjährigen Person“ bedeutet und dem Wortlaut – § 207a (1, 2.) „ einem anderen … vorführt oder sonst zugänglich macht“ – entsprechend in die Strafbemessung einzufließen hat. Hier ist Aufklärung vor allem auch bei Jugendlichen dringend nötig – daher bereits in der Schule. Das gehört zur Sozialkunde!
Nicht hingegen sollten „Sublimierungen“, wie Versuche künstlerische Darstellungen eigener Phantasien (denn heute bestimmen Kunstmarkt oder Fördergeber, was als Kunst zu gelten hat) dem Strafrecht unterzogen werden: Sie dienen immer auch der eigenen psychischen Entlastung, egal ob es sich um Cornelius Kolig handelte oder Pablo Picasso. Aber, wie mein Jungianischer Lehranalytiker immer sagte: „Je psychisch gesünder Menschen werden, desto ,gewöhnlicher‘ werden sie“.