Wenn im alten Rom jemand in Ungnade fiel, wurde sein Name gelöscht: Er sollte der Vergessenheit anheimfallen. In der frühen Sowjetunion wurden solche Personen aus Fotografien weg retuschiert – und im heutigen Israel geschieht so etwas in ultraorthodoxen Zeitungen mit Frauen (sogar Angela Merkel wird aus Staatbesuch-Fotos entfernt). In meiner vorjährigen Forschung zur Bürgernähe im Zeitalter der Digitalisierung erfuhr ich, dass so etwas Ähnliches sogar gelegentlich in Niederösterreich vorkommt – wenn im vorauseilenden Gehorsam Fotos von Gemeindeveranstaltungen von Politiker anderer Parteien „gereinigt“ werden …

Jetzt wurde ein Posting Robert Menasses von Gernot Blümels Facebook-Seite gelöscht. Von wem genau, müsste erst nachgewiesen werden. (Mir ist so etwas vor einigen Tagen, s. mein „Brief gegen Gewalt“ Nr. 73 vom 23.09. passiert – da ging es um gewaltsames Vorgehen gegen eine – ärztlich gerechtfertigte – Nicht-Maskenträgerin im Wiener Stadtsaal und Facebook hat von sich aus gelöscht.) Abgesehen von der glücklosen Argumentation Blümels (die wohl wie so manche vorherige inkompetenten Spindoktoren zuzuschreiben ist – ein Problem, das ich auch bei Rendi-Wagner unterstelle, siehe ihren peinlichen Vergleich des Schreckens der Schoah mit der gegenwärtigen Flüchtlingspolitik, s. Glosse von Andreas Koller in den Salzburger Nachrichten vom  24.09.2020, Seite 2) und den zahllosen medialen Zug-Aufspringern der empörten Parteinahme für Menasse, zeigt sich mir hier aber ein ernsthaftes Grundproblem – das „Ungeschehen-machen-wollen“.

In der Psychoanalyse gilt dies als „Abwehrform“ (vgl. Anna Freud, „Das Ich und die Abwehrmechanismen“), indem spontan, d. h. ohne viel bewusstes Nachdenken, vernichtet – zu „Nichts gemacht“ – wird, was an das Ungewollte, Angst oder Scham behaftete,  erinnern könnte.

Diese „Abwehr“ sehe ich auch in den Umbenennungen von angeblich rassistischen Straßen- oder Firmennamen oder im Denkmal-Vandalismus. Ich denke, wir alle sollten zu unserer Geschichte stehen – und Grenzen ziehen, wenn jemand anderer damit zum Nachteil manipulieren will. Hitler gehört zur Geschichte Mitteleuropas, Lueger zur Geschichte Wiens – so wie Tom Riddle alias Voldemort zur Biographie Harry Potters, denn auch wenn man dessen Namen durch „Du weißt schon wer“ („You know who“) ersetzt, wird er dadurch nur geheimnisvoller, spannender und (Aufmerksamkeit) anziehender.

Ich bin für ernsthafte Zusatzkommentare der Distanzierung – wohl wissend, dass Ernsthaftigkeit und damit auch Verantwortung für die eigene Position und das eigene Handeln immer seltener wird – vor allem auch, weil viele glauben, sich schützend vor ihre Mitarbeiterschaft (oder Fangemeinde) stellen zu müssen. Das hindert diese aber an der Konfrontation. Besser ist seitlich solidarisch – wenn man das wirklich will.

Mir hat gefallen, dass Robert Menasse sich im Interview im heutigen Standard (29.09., Seite 6) selbstkritisch zu seinem „schnellen“ Posting geäußert hat. Nicht gefallen hat mir hingegen die Anmerkung im Text (nicht von Menasse!), dass in der Sendung (ORF-Pressestunde) nicht erwähnt wurde, dass Menasse Sohn eines jüdischen Holocaust-Überlebenden sei – was man als Angriffsverstärkung oder Angriffsabschwächung, jedenfalls „nur“ Individualisierung interpretieren könnte. Weshalb also? Es tut hier nichts zur Sache – außer man will einen „inneren Kreis der Berechtigten“ (zu denen ich mich auch zählen könnte) schaffen.

Oder man macht sich die (möglicherweise emetische) Mühe, die Sprachwahl aller Wahlkampfwerbung zu analysieren.