Wie in „Brief“ Nr. 35 angekündigt, will ich noch weitere Gedanken zum derzeit „abgesagten“ Turnunterricht vorstellen.

Zuerst möchte ich Werner Schwarz, dem Direktor des BG Zehnergasse in Wiener Neustadt Anerkennung zollen: Der erfahrene Sporttrainer demonstriert (s. Kurier, 14. Mai, S. 15), wie man mit langsamen Bewegungen seine Muskulatur als Vehikel für – nicht nur physischen sondern auch psychischen – Kraftaufbau nutzen kann. Genau deswegen bin ich dafür, im derzeit „Bewegung und Sport“ geheißenen vulgo Turnunterricht auch Tai Chi, Qui Gong, Ismakogie, Eurhythmie etc. gleichberechtigten Raum zu geben – und dem Tanz (wo heutzutage ohnedies selbst bei Paaren meist jede/r nur für sich swingt).

Gunter Kreutz, der am Institut für Musik der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg lehrt, weist in seinem Buch „Tanzen – Glücklich mit Tango, Salsa und CO“ (Psychosozial-Verlag) darauf hin, wie durch Synchronisation beispielsweise stampfender oder klatschender Individuen Signale in einen viel weiteren Umkreis gesendet werden können, es liege nur daran, sich auf ein gemeinsames Tempo zu einigen (S. 88). Kindergartenstudien hätten auch gezeigt, dass allein das synchrone Schaukeln Wahrnehmung und Verhalten der Kinder untereinander prosozialer beeinflussen könne – selbst wenn sich die Kinder vorher gar nicht kannten (S. 135). Aber nicht nur bei Vorschulkindern, sondern besonders bei Pubertierenden liege die Wirkung des Tanzens in der Stärkung des Selbstbildes der Jugendlichen (das in dieser Zeit ohnedies sehr fragil ist) (S. 142). Kreutz schreibt: „Tanzen ist eine der Sprachen, die uns als soziale Wesen auszeichnen, und es schließt so manche Lücke, die die Wortsprache hinterlässt. In diesem Sinne können wir nicht fehlgehen, das gemeinsame Tanzen als Strategie des sozialen Miteinander zu verstehen und anzunehmen, dass wir es genau deswegen auch sehr gut brauchen können.“ (S. 122).

Wenn man die vielen Arten von Tänzen in anderen Kulturen betrachtet, in denen oft ganze Geschichten „erzählt“ werden, merkt man, wie sehr in der mitteleuropäischen Folklore in Zeiten strenger (offizieller) Sexualtabus primär die Selbstdarstellung zwecks künftiger Partnerwahl das Ziel der hautnahen sogenannten Volkstänze (mit der Chance des Blicks unter die Unterröcke bzw. in die Lederhosen) war. Je weiter östlich man schaut, findet man ganz andere Ziele: Ausdruck reiner Lebensfreude, Gemeinschaft vor allem aber auch selbstbestimmte Körperbeherrschung und ganzheitlichen Selbstausdruck.

Lernen, den eigenen Körper nicht nur im Schmerz (oder sinnlicher Lust), sondern als generelles und permanentes Fühlinstrument wahrzunehmen, wie es beispielsweise in der Feldenkrais-Arbeit oder mittels Hakomi geschieht, weist Wege zur seelischen und sogar spirituellen Selbstgestaltung. Da wir in der Schule ja fürs Leben lernen sollen (und nicht fürs Zeugnis), sind all diese Ergänzungen und Erweiterungen sinnvoll – und sie benötigen kaum Körperkontakt (außer Judo oder andere Anleitungen zur Selbstverteidigung). Sie sollten in die Lehrerfortbildung aufgenommen werden (oder die entsprechenden TrainerInnen die schulische Lehrerlaubnis erwerben können).