Bisher hatte ich Ageismus – die Diskriminierung und Abwertung von Menschen auf Grund ihres Alters – nach beiden Richtungen verstanden: Das „Dazu bist du noch zu jung!“ ohne Erklärung kennen wir vermutlich alle. Johanna Dohnal – damals bereits (und nicht freiwillig) nicht mehr Ministerin, und ich hatte (allerdings freiwillig) mein Mandat schon 10 Jahre zuvor zurückgelegt –  hat mir in den 1990er Jahren einmal am Rande einer Tagung, an der wir beide Vorträge hielten, in ihrer Art von trockenem Humor gesagt, „Das ist das Schöne an unserer Partei, dass man so lange Nachwuchs bleibt …“

Zu der anderen Seite der Zeitlinie hat mir diese Woche eine Schriftstellerin, die ich sehr schätze, erzählt, als ein Verleger, der sich für sie als Autorin interessiert hatte, sie persönlich kennen lernte und merkte, dass sie älter war als auf den Fotos, die er kannte, „charmant“ erklärt: „Wissen Sie – wir arbeiten lieber mit jungen Autorinnen zusammen, die wir aufbauen können!“ Pygmalion-Syndrom (nach Shaw, weniger nach Ovid Pygmalion (Shaw) – Wikipedia) nenne ich so eine Einstellung: Mann will Frau nach eigenen Bedürfnissen „erschaffen“ – ihre Person und Persönlichkeit weiß er nicht zu schätzen, oft nicht einmal wahrzunehmen.

Nun habe ich im Studium der letzten Ausgabe (3/22) der hervorragenden feministischen Fachzeitschrift „AEP Informationen“ (informationen@aep.at) zu sexualisierter Gewalt dieses für mich neue Fachwort entdeckt: „Adultismus ist die Diskriminierung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen.“ und, Zitat von ManuEla Ritz, „Adultismus verweist auf die Einstellung und das Verhalten Erwachsener, die auf Grund einer tradierten Rangordnung davon ausgehen, dass sie allein auf Grund ihres Alters intelligenter, kompetenter, schlicht besser seien, als junge Menschen und sich daher über ihre Meinungen und Ansichten hinwegsetzen bzw. diese erst gar nicht erfragen.“ (S. 26)

Solch ein Erlebnis hatte auch in dieser Woche: Da fuhr ein Mitt-Fünfziger, Geschäftsführer einer regierungsabhängigen Institution, einem Start-Dreißiger aus einer umfangreichen Unternehmer-Familie über den Mund, er habe sich alles selbst erarbeiten müssen, als der Jüngere begeistert von seinem Start-up erzählen wollte. Klassischer Fall von unbewusstem Konkurrenzdenken, konstatierte ich still bei mir, und Mangel an gelebter Väterlichkeit (nämlich kein Impuls, einen Jüngeren zu fördern), trat aber sofort dem im Schock ob dieser Angriffslust (und Abwertung) erstarrten Self-made-man zur Seite, denn ich wusste ja, wie dieser auch gegen den Adultismus in seiner Groß-Familie zu kämpfen hat und sich alles selbst erarbeiten muss.

Deswegen zitiere ich immer wieder aus dem Brief Franz Kafkas an Oskar Pollack vom 8. November 1903:

„Wenn Du vor mir stehst und mich ansiehst, was weißt Du von den Schmerzen, die in mir sind und was weiß ich von den Deinen. Und wenn ich mich vor Dir niederwerfen würde und weinen und erzählen, was wüsstest Du von mir mehr als von der Hölle, wenn Dir jemand erzählt, sie ist heiß und fürchterlich. Schon darum sollten wir Menschen voreinander so ehrfürchtig, so nachdenklich, so liebend stehn wie vor dem Eingang zur Hölle.“

Und ich zitiere dazu Winston Churchill:
„Wenn du durch die Hölle gehst, geh weiter!“ (Hervorhebung von mir.)