Wenn man einen Klienten betreut, der permanent enttäuscht wird, weil er zu optimistische Erwartungen an Berufs- wie private Beziehungen pflegt, bei den privaten dazu noch unrealistische, denn eine Partnerperson wird kaum in allen Interessen gleichgestimmt sein – das wäre ja dann auch ohne neue Impulse und langweilig – dann fällt es meist leicht, sanft und geduldig in kleinen Schritten die notwenige Realitätssicht nahe zu bringen.
Wenn man selbst enttäuscht wird und an sich den Anspruch von Fairness in der Beurteilung erhebt, wird dies zur Gratwanderung. Mir geht es derzeit so. Da las ich doch im Standard vom 19. August auf Seite 23 – „Kommentar der Anderen“ – den spannenden Artikel der Journalistin Alexia Weiss „Weg mit dieser Schule!“ und fühlte mich (als seinerzeitige Universitätsprofessorin für Prävention und Gesundheitskommunikation an der Donau Universität unter anderem Begründerin und Leiterin des Masterstudiums der PROvokativpädagogik) gleichgesinnt angesprochen und verschlang daher ihr in diesem Artikel beworbenes Buch „Zerschlagt das Schulsystem … und baut es neu!“ (Kremayr & Scheriau 2022) voll Vorfreude – und auch vager Hoffnung, dass sie die eine oder andere Anregung aus meinen Anti-Schul-Gewalt- und PROvokativpädagogik-Büchern übernommen hätte.
Ich wurde enttäuscht. Nicht dadurch, dass sie als Quellen nur Internet-Artikel und keinerlei Fachliteratur angab, sondern dass der Inhalt, wie es der Untertitel „Eine Streitschrift“ ankündigte, diesem nicht entsprach: Das Buch ist aus meiner Fachsicht eine romantische Utopie – und so hätte ein korrekter Untertitel lauten müssen.
Was die Autorin, geboren 1971 in Wien, nicht weiß oder reflektiert, ist, dass sich das Eltern-Lehrer-Schüler-Dreieck seit den 1990er Jahren massiv verändert hat: Gewalt hat nicht nur zwischen Schülern (und geringer bei Schülerinnen) untereinander, vor allem aber auch gegen Lehrkräfte zugenommen, nicht nur seitens der Schülerschaft sondern auch von den Eltern. Woran wir (diplomierte psychoanalytische) Sozialtherapeut:innen in den 1970/80er Jahren dank des Engagements der Wiener Vizebürgermeisterin Gertrude Fröhlich-Sandner erfolgreich gearbeitet hatten, nämlich am wertschätzenden dialogischen Interessensausgleich (der Begriff Mediation war damals noch nicht in Österreich angekommen), ist heute Insiderwissen derjenigen Pädagog:innen, die Zeit und Fitness aufbringen, sich z. B. in PROvokativpädagogik fortzubilden (wie ich sie hoffentlich nach dem Abklingen der Pandemie nunmehr in meiner Akademie s. www.salutogenese.or.at anbiete).
Auch wenn ich selbst vormals öffentlich für Schulsozialarbeit plädiert habe, weiß ich heute: Die hat andere Aufgaben und Ziele – ebenso wie die Schulpsychologie. Lehrkräfte hingegen brauchen Wissen und Praktiken, sofort (!) bei Störungen, Konflikten und Gewalt fachkundig und gewaltverzichtend intervenieren zu können – und die Probleme nicht in die Zukunft, und wenn die auch nur ein paar Tage später stattfindet, und an sogenannte Expert:innen wegzudelegieren. Und genau dieses Wissen und die Methodik dazu bietet derzeit nur „meine“ PROvokativpädagogik (nicht zu verwechseln mit der späteren und ganz anderen Provokationspädagogik).
Die große Masse der Schülerschaft der 2000er Jahre ist – abgesehen von den psychischen Folgen der Pandemie – eine andere als vorher, teilweise depressiv, teilweise aggressiv, viele demotiviert, orientierungslos, teilweise in Subkulturen, von denen Eltern nichts ahnen und Beamtete wegschauen oder nicht wahrhaben wollen. Das weiß ich nicht nur aus eigener Unterrichtserfahrung, vor allem im Pflichtschulbereich, sondern aus gut 40 Jahren Supervision von Lehrkräften wie auch Sozialarbeiter:innen und meinem jahrelangen Unterricht „Didaktik der Gewaltprävention“ am Institut für die schulpraktische Ausbildung der Univie, wie auch laufend Fortbildungen an pädagogischen Hochschulen – und in meinen schulspezifischen Forschungen habe ich immer „an der Basis“ bei Betroffenen recherchiert (nicht nur bei „Bekannten“). Eine Liste meiner einschlägigen Publikationen kann bei mir angefordert werden.
Aber auch viele Eltern haben eine andere Mentalität als im vorigen Jahrhundert, delegieren Kritik oft sofort an Anwaltschaften, statt sich auf Gespräche einzulassen. Und auch ihnen Frieden schaffend zu begegnen, braucht Wissen und Methode, deswegen heißt mein Grundsatzbuch auch „PROvokativpädagogik – PROvokativmethodik“ (www.aaptos.at, 3. Auflage 2022). Es kann – nur – bei mir bestellt werden.