Da flattert mir soeben die online-Werbung für das morgige Profil 35/21 auf den Bildschirm und kündigt mit „Über die Kunst sich zu entschuldigen. Oder auch nicht.“ seine aktuelle Titelgeschichte mit Bildern von HC Strache, Kurt Waldheim, Johannes Paul II und Placido Domingo (die anderen kann ich auf Grund der Kleinheit des Fotos nicht erkennen) an.
Vermutlich soll mit der Berufung auf die Musen-Inspiration thematisiert werden, wie sensationell innovativ manche Entschuldigungen kreiert werden. Aber ist „corriger la nature“ schon genug schöpferische Leistung, um als Kunst zu gelten? Der deutsche Essayist Rupert Schützbach (* 1933) hat seiner Formulierung nicht Kunst, sondern Kultur vorangestellt (Kultur: corriger la nature. (aphorismen.de)) … aber auf Verantwortung bezogen, wäre das Wort Unkultur wohl zutreffender.
Nun sollte ich vielleicht bis morgen, Sonntag früh so ca. 4 h, wenn ich Frühaufsteherin mir das neue Profil aus dem Postkasten fische, warten und zuerst den Artikel lesen – aber Leid gewohnt, weil mein Buch „Kultur des Teilens“ (Untertitel „Einladung zu einem dialogischen Leben“, Ueberreuter 2001, Restexemplare bei mir zu bestellen) immer wieder als „Kunst des Teilens“ umformuliert wird, reagiere ich bei „Kunst“ als Veredelungswort sensibel.
Sich so zu entschuldigen, dass man keinerlei Verantwortung, zumindest aber Erklärung für eigenes Fehlverhalten beweist, mögen manche der Bauchrednerkunst gleichsetzen – im Sinne von „Wer hat jetzt gesprochen? Ich oder ich?“ … Jedenfalls wird dabei auf die Bedürfnisse und Verletzungen derjenigen, die endlich die subjektive Wahrhaftigkeit „spüren“ wollen, nicht eingegangen.
Ich gehe davon aus, dass alle Hundebesitzer das Kopfwegdrehen ihrer Haustiere kennen, wenn man sie bei einer „Untat“ ertappt hat. Ich sehe darin das gleiche Niveau von „Ich wars nicht“ bzw. „Und wenn ich es doch gewesen sein sollte, so wurde ich falsch verstanden“. (Ex-Bundeskanzler Schüssels legendäres Frühstücksinterview fällt mir ein …)
Alles Ausreden.
Ausreden – ein Wort mit Doppelsinn: Mutig das herauszulassen, was auf der Seele drückt – aber wenn sich die Seele bereits in ein „situationselastisches“ Jo-Jo verwandelt hat, an dem nichts mehr anhaftet, und das nur mehr hoch und nieder schwebt, dann wenigstens den „Anstand“ zu haben zuzugeben, dass man an der Aufgabe der Selbsterklärung „ansteht“.
Unsere juristische sogenannte Kultur sieht vor, dass Beschuldigte (vor Gericht) „alles ihrer Verteidigung Dienliche“ vorbringen dürfen, auch wenn es nicht wahr ist. (Wahr müssen nur ZeugInnen sein, und die sind es oft auch nicht, wie ich aus leidvoller Erfahrung weiß). Dass dabei Kunst-volle Fantasiebrücken zu „alternativen Fakten“ (Alternative Fakten – Wikipedia) gebaut werden, liegt nahe, schädigt aber die Gesundheit aller RezipientInnen solcher Botschaften: Lüge ist die Ur-Sache, wenn etwas krank macht – hingegen „die Wahrheit wird euch frei machen“ (Johannes 8, 32).