Eine Expertenrunde um die zivilgesellschaftliche NGO „#aufstehn“ will das Lueger-Denkmal in der Wiener Innenstadt vom Sockel holen, las ich unlängst auf orf.at, und inzwischen sei mehrmals das Wort „Schande“ auf das Bauwerk gesprayt worden, und Jasmin Chalendi, die Kampagnenleiterin, habe bei einer Pressekonferenz das Ergebnis der siebenköpfigen Kommission mit „Das Ehrendenkmal eines bekennende Antisemiten kann so sicher nicht stehen bleiben“ zusammengefasst. (Lueger-Statue soll vom Sockel geholt werden – wien.ORF.at, 05.05.2021.)
Das hat mich an ein Seminar bei dem derzeitigen Dekan der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Wien, Wilfried Engemann, erinnert, das den Titel trug „Das kann doch nicht ich gewesen sein“ und in dem wir uns mit Schuld und Sühne auseinandersetzten. (Meine diesbezügliche Seminararbeit „Auf der Suche nach der verlorenen Verantwortlichkeit – Psychotherapeutische Überlegungen zur Selbstkorrumpierung und der reinigenden Kraft der Wahrheit“ findet man auf www.kirchentuer.info unter Texte Theologiestudium.)
Zu den seelischen Abwehrformen, wie sie Anna Freud in „Das Ich und die Abwehrmechanismen“ beschrieben hat, zählen nicht nur die bekannte Verdrängung (dann fehlt jegliche Erinnerung an das Nicht-Bewusstseins-Fähige), oder die Verkehrung ins Gegenteil (man bezeichnet z. B. eine beneidete erfolgreiche Person „unabsichtlich“ als Versager), sondern auch das Ungeschehen-machen (z. B. Vergehen unbewusst durch Zwangshandlungen „löschen“ zu wollen).
Ich kann schon verstehen, dass sich viele für die Statuenpräsenz auf dem noch dazu nach ihm benannten Platz von Bürgermeister Lueger (1844–1910, ab 1897 Bürgermeister von Wien) fremdschämen, besonders in Erinnerung, dass das 4 Meter hohe Standbild 1926 errichtet wurde, in einer Zeit, als sich der längst latente Antisemitismus manifest zu organisieren begann – aber den war man im „roten Wien“ offensichtlich gewohnt … und die Ankündigungen in Hitlers „Mein Kampf“ – der erste Band erschien 1925 – wurden ignoriert bzw. nicht ernst genommen.
Ich habe mich im Vorjahr in einem „Brief gegen Gewalt“ dafür eingesetzt, dem Denkmal im Sinne der Ambivalenz der sogenannten Verdienste Luegers (Wiener Wasserleitung u. a.) kritische Denkanstöße beizufügen; ich dachte dabei nicht nur an aufklärende Texte, sondern auch an bildhafte Ergänzungen.
Schmierereien hingen sind aus meiner Sicht hier mehr als nur Vandalismus – sie spiegeln nur die „Juden raus!“-Schmiereien der Nazis wider – genau so, wie der Slogan „Lueger muss weg!“
Wie sich die Bilder gleichen!
Wir können als ÖsterreicherInnen unsere Geschichte nicht ungeschehen machen, und, so finde ich, gerade in Zeiten von immer stärker und unverschämter aufflackernden Antisemitismus, sollten wir das auch nicht.
Es geht nämlich um Bekämpfung von konstruierten Feindbildern – es geht um den Hass auf „die Anderen“ – und es geht um die in Taten umgesetzte Gewaltbereitschaft.
In anderem Zusammenhang sprach Bundespräsident Van der Bellen im Mai 2019 „So sind wir nicht!“ (Van der Bellen an die Nation: „So sind wir nicht. So ist Österreich nicht“ – ZDFheute).
Doch – so sind wir alle:
Wir alle haben irgendwo in unserer Seele die Bereitschaft zu Hass und Gewalt, und manche, die nicht schuldig werden wollen, reflektieren die Auslöser und suchen das klärende Gespräch; und dann gibt es diejenigen, die als Lösung nur auf die Vernichtung dessen zielen, dem sie die Existenz absprechen – und wenn es nur ein Denkmal ist – ein „Denk mal!“