Sich von Altgewohntem zu trennen, fällt vielen nicht leicht – vor allem deshalb, weil sie – noch – nicht gelernt haben, mit „Leere“ umzugehen. (Zur Erinnerung: Ich definiere „lernen“ als Bildung von neuen Wahrnehmungs- und Handlungsnervenzellen). Ich spreche dann von „Entzugserscheinungen“. Wer schon einmal eine Fastenkur gemacht hat, sollte diesen Effekt der ersten drei Tage kennen: Man empfindet sich „erkältet“ – es fehlt ja gewohnte Energiezufuhr – fiebrig, schwach, vielleicht auch depressiv … und sollte eigentlich erkennen, wie abhängig man von der jeweiligen Substanz oder dem jeweiligen Verhaltensmuster war.
Wenn man diese ersten drei Tage oder auch die erste Woche, je nach „Suchtmittel“, ohne Rückfall überstanden hat, beginnt man die „Entgiftung“ zu genießen – außer man kehrt gedanklich immer wieder zu der vorherigen „Völle“ zurück, verklärt sie auch (und löscht alles Negative, das damit verbunden war) und belügt sich selbst.
Dazu können dann noch andere Verluste kommen: Der Kreis Gleichgesinnter etwa – oder der Kreis möglicher Kritiker, wenn man sich nicht mehr deren „Spielregeln“ anpasst – nicht mehr grenzenlos mittrinkt, mitfrisst, mitraucht, mithurt (und wenn es nur maulhuren ist) oder aber auch an einer Beziehung festhält (Beziehung zu ideologischen Gruppierungen mitgemeint).
Es ist immer die Energiezufuhr, von der man glaubt, ohne sie nicht leben zu können – weil eben noch die vitalisierende Erfahrung der „Reinigung“ fehlt, aber auch, weil all diejenigen, die an toxischen Beziehungen festhalten, verhindern wollen, dass sich jemand von solchen befreit. Mütter etwa, die sich „der Kinder wegen“ nicht haben scheiden lassen, aber ebenso Verwandte, die einen möglichen Berufswechsel von vornherein ablehnen. Frauen, die nicht mehr mit ihrer Partnerschaft angeben können. Männer, die zugeben müssten, dass sie ihre PartnerInnen durch ihr eigenes Verhalten vertrieben haben. Sie müssten dann ja ihre eigene Unwilligkeit zu Kurswechsel oder Weiterentwicklung erkennen und stünden dann auch vor der Ungewissheit, ob sich solch eine Trennung im Nachhinein „lohnt“ – ob sie also überhaupt noch einmal solch eine Energiequelle aufspüren (und ausbeuten) könnten. Dabei ist es der Mutschritt in die Ungewissheit, der hilft, eigenes förderliches Potenzial auszuspüren und zu leben.
Es ist eine Erziehungsfolge, ob man an dem Glaubenssatz festhält, „den Teller immer leer essen zu müssen“ oder nach A immer auch B sagen zu müssen. Dabei hat Bert Brecht so treffend formuliert, das müsse man nicht, wenn man erkenne, dass bereits A falsch war. Das ist auch einer der Gründe, weswegen manche Menschen Trennungen mit Gewalt verhindern wollen: Sie müssten dann anerkennen, dass sie Entwicklungen anderer nicht verhindern können, und vor allem dann, dass sich etwas von einem weg entwickelt. Wenn Altgewohntes stirbt … Unterwerfung etwa.
So verstehe ich auch den Satz „bis dass der Tod euch scheidet“ – nämlich, wenn die seinerzeitige Beziehung tot ist, keine Energie mehr beinhaltet geschweige denn spendet.
Wenn eine Beziehung tot ist, gehört sie in Würde bestattet.