Es war laut den Medien das Corona-Virus, das das Leben von Dr.in Erika Seda (1923–2020) am 7. April beendet hat. Ich habe sie 1969 kennen gelernt – bei der ersten „Wiener Konferenz“ (der Jahresversammlung der Wiener Sozialistinnen – Namensänderung auf Sozialdemokratinnen seit dem Parteivorsitz von Franz Vranitzky), zu der ich delegiert worden war. Da ich damals noch „nur“ Juristin war, hatte sie, eine der ganz wenigen weiblichen Nationalratsabgeordneten, mich als junge Kollegin unter ihre Fittiche genommen: Ohne sie wäre ich wahrscheinlich eine angepasste Gesetzesverteidigerin geblieben – denn dass man Gesetze auch ändern kann und wie, das hatte ich im Studium nie gehört. Das habe ich „in der Partei“ gelernt.
Auf dieser Tagung hörte ich Erika Seda das erste Mal den damals gültigen § 91 ABGB (aus 1811!) – „Der Mann ist das Haupt der Familie. In dieser Eigenschaft steht ihm vorzüglich das Recht zu, das Hauswesen zu leiten; es liegt ihm aber auch die Verbindlichkeit ob, der Ehegattin nach seinem Vermögen den anständigen Unterhalt zu verschaffen, und sie in allen Vorfällen zu vertreten.“ – kritisieren. 1969 waren bereits viele gut ausgebildete verheiratete Frauen voll im eigenen Beruf (auch wenn sie Mütter waren) und wollten sich selbst vertreten – und sich auch ihr Einkommen nicht vom Ehemann wegnehmen lassen. Erika Seda hat bis in die späten 1970er Jahre, als dann endlich (ich zitiere ihre Wortwahl) „das Haupt der Familie geköpft wurde“, bei jeder sich bietenden Gelegenheit für die rechtliche Gleichstellung der Ehefrau in der Ehe gekämpft. Als ich sie vor ein oder zwei Jahren bei einer Festveranstaltung traf und daraufhin ansprach, dass das ja ihr Verdienst war und nicht der von Johanna Dohnal, die damals noch eine „kleine Bezirksrätin“ war wie ich, seufzte sie und sagte dann, in der Partei wäre es eben so, dass Verdienste nach PR-Opportunitäten auch an andere verteilt würden.
Das erinnerte mich an die Erfahrung eines Klienten: Dem hatte sein übergeordneter Wiener Stadtrat (selbe Partei), als er in Ausübung seiner leitenden Funktion über seine Aktivitäten referierte, vor Publikum vorgeworfen, „Sag doch nicht immer ,ich‘ – sag ,wir‘!“ Möglicherweise hatte sich der Politiker Kaiser Franz Joseph zum Vorbild genommen … oder einfach Konkurrenzgefühle nicht ausgehalten.
Jemandem, der über sich selbst spricht oder schreibt, das „Ich-Sagen“ zu verbieten, ist immer entweder der Versuch, diese Person klein zu halten – oder braver Gehorsam denjenigen gegenüber, die einem/einer das so eingetrichtert hatten, also wiederum das selbe. Es ist nicht mehr zeitgemäß. Sogar im Wissenschaftsbereich setzt sich seit längerem der amerikanische, aber auch französische Stil durch, sich nicht hinter „man“ oder „der Autor“ zu verstecken – ganz im Sinne Albert Einsteins „Man kann die Dinge nur am Beobachter beobachten“, also soll sich dieser auch deklarieren. Geht ja bei Berichten aus der „Feldforschung“ gar nicht anders … denn jedes Wahrnehmen und Denken ist letztlich immer subjektiv, auch wenn sich mehrere auf eine Sichtweise einigen – und auch das gehört dann transparent gemacht.
Ich habe damals mehrfach erlebt, wie bei Grabreden für die ersten – durchsetzungsstarken! – Politikerinnen immer deren Bescheidenheit hervorgehoben wurde und habe das als suggestiven Befehl enttarnt (ganz im Sinne des in meiner Kindheit viel zitierten „Fleißig und bescheiden sein macht beliebt bei groß und klein“ – nur stimmt das nicht, es macht höchstens beliebt bei Tyrannen).
Möge Erika Seda bald mit einem Straßennamen in Wien die öffentliche Aufmerksamkeit nachgereicht werden, die ihrem Einsatz gegen finanzielle Gewalt gegen Frauen gebührt!