Und wieder liegt ein Baby im Koma, weil es geschüttelt wurde.
Als meine Söhne Babys waren und ich damals alles zu Kinderpflege und -erziehung verfügbare las, tauchte der Begriff „Schütteltrauma“ weder in Büchern noch in Zeitungsartikeln auf – im deutschsprachigen Raum. Dabei war das Erscheinungsbild bereits damals – in den frühen 1970er Jahren – von einem Neurochirurgen beschrieben worden. Aber erst etwa zwanzig Jahre später ist es durch die generell einsetzbare Computertomographie rasch nachweisbar geworden. Doch was hilft es durch unaufhörlich schreiende Babys überforderten Eltern, wenn sie weder über die Gefahren des Schüttelns informiert wurden – etwa persönlich beim ersten Kontakt mit Säuglingskrankenschwestern, in Elternschulen oder bei den Pflichtkontrollen bei Kinderärzt*innen – noch über die Methoden, wie man Kleinkinder (und Menschen überhaupt, sich selbst eingeschlossen) beruhigt.
Es liegt wohl daran, welche Erfahrungen man selbst als Kind wie als Beobachtende gemacht hat, wie man in solchen Stresssituationen handeln sollte. Ich beispielsweise habe meine Babysöhne fast permanent in den Armen bzw. im Tragetuch herumgetragen, auch wenn sie nicht weinten, und dabei viel Kritik von meiner gestrengen Mutter zu hören bekommen, ich würde die Buben zu sehr „verwöhnen“. Vermutlich lag dieses mein spontanes Verhalten darin begründet, dass ich immer (also lange vor meinen beruflich erforderlichen Eigentherapien) sehr bewusst große Sehnsucht danach hatte, in den Armen gehalten zu werden wenn ich unglücklich war – aber von nur ihr, nicht von irgendwem.
Was wir heute besser wissen als noch vor zwanzig, dreißig Jahren: Gefühle sind wirklich ansteckend (kann man mittels Gehirnscans sichtbar machen) und je heftiger sie sind, desto mehr kann man urplötzlich überflutet werden. Dazu zählt vor allem die herzzerreisende Verzweiflung von noch nicht der Sprache mächtigen Kleinkindern, die ja auch in unser aller Seelentiefe verschüttet liegt, und die wir nicht gerne „aufgerührt“ haben wollen. Deswegen wehren sich die so „Ergriffenen“ auch unbewusst dagegen – und zwar mit Wut (so wie sie es halt auch selbst erlebt haben).
Wut äußert sich „animalisch“: Die „Körperwaffen“ – Hände und Arme – werden mit Kampfenergie versorgt und wollen zupacken, losschlagen etc., und diese „Aufladung“ kann auch Füße und Beine aktivieren, je nachdem, welches „Repertoire“ man bisher erworben hat. Den Beginn dieser durchaus umlenkbaren Impulse kann man – wenn man das will! – wahrnehmen, indem man auf das innere „Kribbeln“ im Oberkörper achtet, und wie es sich zu äußerlichem Zittern auswächst und dann in den jeweiligen Bewegungen entlädt. Deswegen ist es so wichtig, Wut beherrschen zu lernen – und dazu braucht es Kenntnisse und Vorbilder: Den eigenen Atem verlangsamen, als Bewegung Streicheln wählen und tröstend-beruhigende Worte sprechen (auch für sich selbst!).
Es ist eine uralte, vielfach publizierte Forderung von mir, in die Säuglingswäschepakete eine DVD mit solchen Hinweisen und Anregungen beizulegen und solche auch für die späteren Entwicklungsjahre zu ergänzen, und für nachfolgende Bestellungen in den Massenmedien zu bewerben. Ich denke, es würden sich genug Firmen finden, die sich die Kosten dafür aufteilen würden – und Journalist*innen, die aktuell mit kleinen Kindern leben und diese Sachverhalte aus Betroffenenkompetenz kennen. (Sinnvolle Fachberatung kann man ja bei Bedarf immer zukaufen.)
Die Initiative dazu erwarte ich von den einschlägigen Ministerien (Gesundheit und Bildung aber auch Sicherheit und Justiz).
Darauf warte ich allerdings nun schon seit den 1990er Jahren …